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Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München

Blindheit und Lebenspraxis

1 Selbstverständnis des Faches Blindheit und Lebenspraxis und sein Beitrag zur Bildung
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Kinder und Jugendliche mit Blindheit oder hochgradiger Sehbehinderung sind im Leben mit Herausforderungen konfrontiert, deren Bewältigung spezifische Kenntnisse, Fähgkeiten und Fertigkeiten erfordert. Die Schülerinnen und Schüler setzen sich im Fach Blindheit und Lebenspraxis mit ihrer individuellen Lebenssituation auseinander, erschließen sich vielfältige Informationsquellen und machen ihre Interessen geltend. Sie erwerben elementare Kenntnisse im rechtlichen Bereich sowie Fähigkeiten und Fertigkeiten in sozialen und lebenspraktischen Handlungsfeldern.

Die Beschäftigung mit der Stellung blinder Menschen in geschichtlichen Zusammenhängen und mit historischen Persönlichkeiten dient den Schülerinnen und Schülern als Hilfe zur Identitätsfindung. Die Erkenntnisse aus der Auseinandersetzung mit wesentlichen Sozialgesetzen und rechtlichen Vergünstigungen nutzen die Schülerinnen und Schüler zur individuellen Lebensgestaltung, besonders auch in Bezug auf ihre berufliche Orientierung und Eingliederung. Sie schätzen die sozialen Aspekte ihrer Seheinschränkung ein und berücksichtigen diese bei der aktiven Gestaltung gesellschaftlicher Teilhabe. Die Schülerinnen und Schüler informieren sich über die Arbeit von Institutionen, die sie in diesem Bestreben unterstützen können, und nehmen Angebote individuell in Anspruch.

Der Auf- und Ausbau lebenspraktischer Fertigkeiten befähigt die Schülerinnen und Schüler dazu, ihren Alltag zu bewältigen. Sie trainieren Handlungsabläufe und Methoden, um Strategien zur Erledigung lebenspraktischer Aufgaben zu entwickeln und anzuwenden. Die Schülerinnen und Schüler erwerben Kompetenzen im Bereich der Orientierung und Mobilität, im Einsatz aller Sinne und der Nutzung von Wahrnehmungsstrategien, in den Bereichen Grob- und Feinmotorik, in der korrekten Anwendung von Begriffen sowie in der Handhabung von blinden- und sehbehindertenspezifischen oder adaptierten Hilfsmitteln.

Das Fach Blindheit und Lebenspraxis trägt zur ganzheitlichen Bildung bei und baut auf den individuellen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler auf. Die Schülerinnen und Schüler setzen ihre vorhandenen Fähigkeiten ein und erweitern sie kontinuierlich mit dem Ziel, trotz visueller Einschränkung ein gelingendes Leben zu gestalten. Die Schülerinnen und Schüler setzen sich mit ihrer Seheinschränkung auseinander und erwerben eine wirklichkeitsnahe Einschätzung persönlicher Möglichkeiten und Grenzen. Sie erwerben darüber hinaus Alltagskompetenzen für das Zusammenleben in einer „sehende Welt" und wenden diese in verschiedenen Situationen an. Mit individueller Unterstützung überwinden sie Hemmnisse und Abhängigkeiten und sind so fähig, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Der Kompetenzerwerb im Fach Blindheit und Lebenspraxis trägt wesentlich zur individuellen Lebensplanung und -gestaltung bei.

2.1 Kompetenzstrukturmodell
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Kompetenzstrukturmodell Blindheit und Lebenspraxis

Im profilbildenden Fach Blindheit und Lebenspraxis erwerben die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich Sehen Kompetenzen in den einzelnen Entwicklungsbereichen anhand der für sie konzipierten Lernbereiche, sodass auf eine weitere Ausweisung von Entwicklungsbereichen bzw. auf die Darstellung von entwicklungsbezogenen Kompetenzen verzichtet wird.

2.2 Prozessbezogene Kompetenzen
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Die prozessbezogenen Kompetenzen sind eng miteinander verbunden und bedingen sich wechselseitig, wodurch themenübergreifendes und vernetztes Denken nachhaltig gefördert wird. Sie dienen als Orientierungsrahmen und werden im Unterricht in Abhängigkeit von den individuellen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler angebahnt, ausgebaut und erweitert.

Sich informieren
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Der Erwerb dieser prozessbezogenen Kompetenz erhält vor dem Hintergrund, dass die Informationsbeschaffung für Menschen mit Blindheit oder (hochgradiger) Sehbehinderung wesentlich erschwert ist, im Fach Blindheit und Lebenspraxis besondere Bedeutung. Die Schülerinnen und Schüler erschließen sich unterschiedliche Informationsquellen (z. B. Broschüren, Zeitschriften, geeignete Internetseiten), holen bei Informationsstellen, z. B. Behörden, und durch Mediennutzung aktiv Informationen ein (z. B. am Telefon, per E-Mail) und nutzen das Informationsangebot der Selbsthilfeverbände. Dabei unterscheiden sie zweckdienliche und überflüssige Aspekte. Sie trainieren ihre Umgangsformen im mündlichen und schriftlichen Kontakt. Ferner erwerben sie Strategien, erhaltene Informationen in jederzeit nutzbarer Form festzuhalten.

Mit der eigenen Einschränkung umgehen
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Die Auseinandersetzung mit der eigenen Sehschädigung ist ein lebenslanger Prozess, der durch die Schule ledigllich angebahnt und unterstützt werden kann. Die Schülerinnen und Schüler gewinnen eine realistische Einschätzung ihrer Möglichkeiten und Fähigkeiten. Sie entwickeln Kompensationsstrategien, gleichzeitig aber auch die Bereitschaft, Hilfe anzunehmen. Ferner beurteilen sie realistisch, welche Vergünstigungen ihnen zur Verfügung stehen und welche Pflichten damit verbunden sind.

Das eigene Leben organisieren
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Das Fach Blindheit und Lebenspraxis vermittelt Methodenkompetenzen zur Orientierung in der Welt. Verantwortungsvolles Handeln ist eine wesentliche Voraussetzung für die Teilhabe an der Gesellschaft. Um Kompetenzen im Bereich der Lebensorganisation auf- und auszubauen, planen die Schülerinnen und Schüler ein eigenes Vorhaben, entscheiden, wie sie vorgehen, führen Handlungsschritte aus und bewerten ihre Ergebnisse. Sie erwerben Kommunikationstechniken für den Umgang mit ihren (sehenden) Mitmenschen und wenden diese an. Mit Unterstützung und aufgrund von Erfahrungen beurteilen sie ihre individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten, formulieren ihren Unterstützungsbedarf und ergreifen bei Bedarf Maßnahmen, um diese Unterstützung zu erhalten. Hilfsmittel bewerten sie nach ihren individullen Nutzen und erläutern, welche rechtlichen Bestimmungen, z. B. zur Beschaffung von Hilfsmitteln, für sie zutreffen. So vertreten sie ihre Interessen und schöpfen ihre Möglichkeiten zur Organisation und Gestaltung ihres Lebensalltags gezielt aus.

2.3 Gegenstandsbereiche
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Das Fach Blindheit und Lebenspraxis vermittelt in beiden Gegenstandsbereichen Grundlegende Kompetenzen, die unverzichtbare Voraussetzungen für ein gelingendes Leben in der Gesellschaft darstellen.

Grundwissen Blindheit
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Die Schülerinnen und Schüler setzen sich bewusst mit ihrer Seheinschränkung und ihrer persönlichen Lebenswirklichkeit auseinander. Sie machen sich unterschiedliche Informationsquellen nutzbar und setzen die gewonnenen Erkenntnisse zielgerichtet ein, um ihr Leben in der „Welt der Sehenden“ zu organisieren. Dabei zeigen sie die Bereitschaft, Hilfen anzunehmen. Sie erkennen und beschreiben gleichzeitig aber auch die Bedeutung größtmöglicher Selbständigkeit.

Lebenspraxis
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Die Schülerinnen und Schüler erwerben, in Abstimmung mit ihren individuellen visuellen Wahrnehmungsvoraussetzungen und ihren Vorerfahrungen, Grundfertigkeiten im sozialen Handeln sowie in der Haushaltsführung. Sie verhalten sich adäquat zu gängigen Umgangsformen und machen ihre Bedürfnisse gegenüber Sehenden geltend. Sie achten auf ihr äußeres Erscheinungsbild, insbesondere Kleidung, Körperhaltung, Mimik und Gestik. Zudem gehen sie fachgerecht mit Lebensmitteln und Küchengeräten um.

3 Aufbau des Fachlehrplans im Fach Blindheit und Lebenspraxis
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Der Fachlehrplan Blindheit und Lebenspraxis gliedert sich in zwei Gegenstandsbereiche, die wiederum in den folgenden Lernbereichen umgesetzt werden. Die Anordnung der Lernbereiche gibt keine Aussage über die zeitliche Reihenfolge. Vielmehr werden die Lernbereiche miteinander verknüpft und zueinander in Beziehung gesetzt.

Lernbereich 1: Grundwissen Blindheit
1.1 Blinde Menschen in Geschichte und Gegenwart
1.2 Das Auge und seine Erkrankungen
1.3 Rechtsbestimmungen und soziale Hilfen
1.4 Berufliche und gesellschaftliche Inklusion
1.5 Hilfsmittel und Selbsthilfeverbände

Lernbereich 2: Lebenspraxis
2.1 Grundkenntnisse und Umgangsformen
2.2 Grundfertigkeiten im Haushalt

In Jahrgangsstufe 7 werden die Gegenstandsbereiche „Grundwissen Blindheit“ und „Lebenspraxis“ zu einem Fächerverbund zusammengefasst. In den Jahrgangsstufen 8 und 9 wird dieser Fächerverbund zur Vertiefung und Erweiterung als Wahlfach angeboten. Je nach Zusammensetzung der Lerngruppe können Kompetenzerwartungen und Inhalte ergänzt oder vernachlässigt werden.

4 Zusammenarbeit mit anderen Fächern
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Das Fach Blindheit und Lebenspraxis bietet vielfältige Anknüpfungspunkte für andere Fächer. Das Lesen und Verstehen rechtlicher Bestimmungen erfordert eine enge Zusammenarbeit mit dem Fach Deutsch. Auch wird immer wieder Bezug genommen zu Inhalten der gesellschafts- und naturwissenschaftlichen Fächer (z. B. geschichtlicher Überblick, Bau des Auges). Beim Umgang mit statistischem Material werden mathematische Kompetenzen benötigt. Die eigenständige Informationsbeschaffung (z. B. Internetrecherche) erfordert ein Zusammenwirken mit dem Fach Wirtschaft und Kommunikation.

Die Schule kann den gesamten individuellen Förderbedarf im Bereich der lebenspraktischen Fertigkeiten nicht in vollem Maß erfüllen, da hierzu eine intensive Einzelförderung notwendig ist. Das schulische und außerschulische Angebot wird deshalb in Zusammenarbeit mit den Fachdiensten, den Eltern, den Rehabilitationslehrern, den Erziehern und Erzieherinnen der Heilpädagogischen Tagesstätte und dem Heilpädagogischen Internat in ein ganzheitliches Konzept übergeführt. Die unterrichtliche Einbeziehung des Fachdienstes Lebenspraktische Fertigkeiten bietet sich ebenfalls an.

5 Beitrag des Faches Blindheit und Lebenspraxis zu den übergreifenden Bildungs- und Erziehungszielen
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Das Fach Blindheit und Lebenspraxis Anknüpfungspunkte für einige übergreifende Bildungs- und Erziehungsziele.

5.1 Gesundheitsförderung
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Aspekte der körperlichen und seelischen Gesundheit werden im Fach Blindheit und Lebenspraxis thematisiert (z. B. Schutz der Augen, harmonisches Zusammenleben mit Sehenden), die den Schülerinnen und Schülern ihre Verantwortung für das eigene Leben bewusst machen.

5.2 Medienbildung/Digitale Bildung und Sprachliche Bildung
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Die Schülerinnen und Schüler nutzen und bewerten vielfältige, auch digitale Medien, um sich über ihre Rechte und Pflichten zu informieren und ihre Interessen geltend zu machen. Sie verwenden bewusst Fachbegriffe aus dem Bereich der Sozialgesetzgebung.

5.3 Politische Bildung, Soziales Lernen und Werteerziehung
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Die Schülerinnen und Schüler nehmen ihre Aufgaben und Möglichkeiten als mündige Bürger wahr und vertreten ihre Interessen verantwortungsbewusst und effektiv. Sie entwickeln ein Gefühl für angemessenes soziales Handeln. Dabei sind sie sich stets bewusst, dass Werte Orientierung für das eigene Handeln bieten können und eine Gesellschaft menschlich machen.

5.4 Verkehrserziehung
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Die Schülerinnen und Schüler bewegen und orientieren sich im Straßenverkehr, indem sie ihre individuellen visuellen Seheinschränkungen verantwortlich berücksichtigen, rechtliche Regelungen beachten sowie Eigen- und Fremdgefährdung vermeiden und Fähigkeiten und Kenntnisse aus dem Training Orientierung und Mobilität anwenden. Das Fach Blindheit und Lebenspraxis vermittelt Kompetenzen, die es den Schülerinnen und Schülern erleichtern, sich sicher und ohne Gefährdung anderer im Straßenverkehr zu bewegen.