Sozialpraktische Grundbildung ist neben dem Fach Sozialkunde Profilfach für die sozialwissenschaftliche Ausrichtung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Gymnasiums (WSG-S). In diesem Fach befassen sich die Schülerinnen und Schüler mit der sozialen Existenz des Menschen, seinen anthropologischen Voraussetzungen und konkreten Bedingungen sozialen Handelns.
Sie erleben nach der Kindheit die eigene Sozialisation zunehmend bewusster als einen Prozess der Übernahme sozialer Normen und Werte. In der beginnenden Adoleszenz sind sie in der Lage, die eigene Rolle bei diesem Prozess altersangemessen zu reflektieren und kritisch zu prüfen. Themen und Methoden leisten dabei einen Beitrag zur Identitätsentwicklung, während der sich die Schülerinnen und Schüler in neuen Beziehungsfeldern sehen und sich dort selbst verorten lernen. Wie in Sozialkunde wird das Interesse der Schülerinnen und Schüler auf das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft gelenkt, dabei wird jedoch gezielt und vertieft die Frage nach der Integration des Einzelnen in die Gesellschaft und nach seiner sozialen Verantwortung für den Mitmenschen gestellt.
In den Jahrgangsstufen 11 und 12 eröffnet sich Schülerinnen und Schülern des WSG-S die Möglichkeit, sich im Rahmen des Profilfaches Sozialwissenschaftliche Arbeitsfelder auch mit Blick auf die hohe Veränderungsdynamik gesellschaftlicher Bedingungen im nationalen wie im globalen Raum und mit wissenschaftspropädeutischem Anspruch auseinanderzusetzen. Damit wird die Zukunftsorientiertheit und Zukunftsfähigkeit der Heranwachsenden unterstützt.
Die soziale Wirklichkeit, die verschiedenen Handlungsfelder des Zusammenlebens sowie Möglichkeiten sozialen und politischen Handelns stehen im Zentrum sowohl des Fachs Sozialpraktische Grundbildung wie auch seiner Fortsetzung in der Qualifikationsphase Sozialwissenschaftliche Arbeitsfelder. Im Kontakt mit in der Praxis erfahrenen Personen, Einrichtungen und Organisationen wird die Bedeutung sozialer Arbeit für das Individuum wie auch für die Gesamtgesellschaft deutlich. Die Schülerinnen und Schüler können über diese Nähe zur sozialen Praxis und über Praktika eigene Fähigkeiten entwickeln, werden auf qualifizierte erzieherische, beratende, pflegerische und medizinische Tätigkeiten und Berufsfelder aufmerksam gemacht und gewinnen so zusätzlich Orientierung für Studium und Beruf. Ferner leisten Praktika einen Beitrag, Chancen und Grenzen sozialstaatlichen Handelns in Ansätzen selbst zu erfahren.
Das Fach Sozialpraktische Grundbildung sowie auch das Fach Sozialwissenschaftliche Arbeitsfelder erweitern im WSG-S die im Fach Sozialkunde vertiefte politische Bildung um wesentliche soziale Aspekte und verstärken die Herausbildung sozialer Kompetenzen. Wenn Heranwachsende human- und gesellschaftswissenschaftliche Grundtatsachen sowie politische und soziale Zusammenhänge kennen, sind sie in der Lage, die soziale Realität differenziert wahrzunehmen und sachlich fundiert zu analysieren. Sie können eine komplizierte gesellschaftliche und politische Wirklichkeit umso leichter begreifen, je kundiger sie aktuelle soziale und sozialpolitische Entwicklungen und Themen in übergeordnete Kategorien einzuordnen lernen.
Sozialpraktische Grundbildung wie auch Sozialwissenschaftliche Arbeitsfelder tragen somit über ihre Inhalte und die praxisnahe Ausrichtung zur Entwicklung eigenverantwortlicher und gemeinschaftsfähiger Persönlichkeiten bei. Bezüge zur Realität über die eigene erfahrbare Wirklichkeit hinaus wecken Verständnis für unterschiedliche Lebenssituationen und stärken die Empathie. Die Schülerinnen und Schüler gewinnen die Einsicht, dass das Handeln des Einzelnen und das Zusammenleben in Deutschland von Vorstellungen bestimmt werden, die auf den Werten des Grundgesetzes basieren, insbesondere auf der Würde des Menschen und den davon abgeleiteten Grundrechten. Die Fächer zielen damit ab auf eine Erziehung hin zur Toleranz, zum Willen und zur Fähigkeit, Konflikte geregelt und sachorientiert auszutragen sowie zu einem angemessenen Umgang mit eigenen und fremden Gefühlen. Grundlage dafür ist eine von Mitmenschlichkeit getragene Solidarität und die Bereitschaft, soziale Verantwortung zu übernehmen.
Die Schülerinnen und Schüler entwickeln ein Verständnis für die soziale Existenz des Menschen, indem sie Grundtatsachen aus den Human- und Gesellschaftswissenschaften kennenlernen. Dabei beschäftigen sie sich – jeweils altersangemessen – mit Aspekten aus den Bereichen Biologie, Ökologie und Physiologie ebenso wie mit pädagogischen, psychologischen und sozialpsychologischen Fragestellungen und gewinnen Einblick in die Realität der sozialen Arbeit. Ferner werden ihnen Sozialisations- und Integrationsprozesse, Strukturen und langfristige Entwicklungen im modernen Sozialstaat bewusst – auch als Voraussetzung für eine rational begründete Einflussnahme auf die zukünftige Gestaltung des Zusammenlebens. Der Altersstufe entsprechend erwerben die Schülerinnen und Schüler Kompetenzen, die auf einen verantwortungsbewussten Umgang mit der eigenen Person wie auch mit anderen Menschen abzielen. So gewinnen sie z. B. ein Gespür dafür, auf die eigene Gesundheit zu achten, reflektieren Möglichkeiten sinnvoller Freizeitgestaltung und erweitern ihre kommunikativen Fähigkeiten.
Alle Themen eignen sich, den Interessen der Jugendlichen unter Einbeziehung örtlicher und regionaler Bedingungen wie auch aktueller Entwicklungen Rechnung zu tragen. Außerdem eröffnen sich vielfältige Möglichkeiten für Projektarbeit und einen handlungs- und erfahrungsorientierten sowie aktivierenden Unterricht, der Raum lässt für beispielsweise Plan- und Interaktionsspiele, für die Einbeziehung neuer Medien oder die Einübung umfangreicherer Arbeitstechniken.
Viele Inhalte machen den Kontakt zu Experten, Einrichtungen und Organisationen nötig, deren Erfahrungen in der sozialen Arbeit über Interviews, Befragungen und Erkundungen nutzbar gemacht werden sollen. Den Zielen des Fachs dienende Projekte in Zusammenarbeit mit sozialen Einrichtungen sind wünschenswert.
Sozialpraktische Grundbildung kann vor allem dann einen wesentlichen Beitrag zum Schulprofil leisten, wenn die Kontakte nach außen sowie das Hereinholen von Wirklichkeit in das Klassenzimmer zu einem bestimmenden Charakteristikum des Faches werden.
Besonderes Kennzeichen des Faches ist überdies die Verknüpfung mit dem Sozialpraktikum. Es umfasst mindestens 15 Arbeitstage, sein erfolgreicher Abschluss vor dem Ende der Jahrgangsstufe 10 bildet eine Voraussetzung für das Vorrücken in die Jahrgangsstufe 11 (vgl. hierzu die GSO–Bestimmungen sowie die Erläuterungen zur Stundentafel des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Gymnasiums). Das Sozialpraktikum kann auch in Teilpraktika auf zwei oder drei Jahrgangsstufen verteilt werden. Darunter muss mindestens ein einwöchiges Blockpraktikum sein, weitere Teilpraktika sollen nach Möglichkeit nicht weniger als drei Tage dauern.
Art und Dauer des Sozialpraktikums bzw. der Teilpraktika orientieren sich an den kognitiven und sozialen Fähigkeiten der Schüler. Das Praktikum bzw. die Teilpraktika sind unter Berücksichtigung des Alters der Schülerinnen und Schüler und lokaler Gegebenheiten mit den Inhalten des Unterrichts abzustimmen. Das Praktikum bzw. die Teilpraktika werden im Unterricht vorbereitet und begleitet. In Praktikumsberichten können die eigene Arbeit und die Erfahrungen nachbereitet und reflektiert werden.
Mehrsprachige Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Zweitsprache werden in einem sprachsensiblen Unterricht beim Erwerb der Fachsprache sowie der fachlichen Kompetenzen darin unterstützt, sich in deutscher Sprache über fachliche Inhalte austauschen und verständigen zu können.