Evangelische Religionslehre
1.1 Selbstverständnis des Faches
Der evangelische Religionsunterricht hat im Fächerkanon der Schule die Aufgabe, der Kommunikation der Schülerinnen und Schüler mit der christlichen Tradition in der gegenwärtigen Welt zu dienen. Mit dem Religionsunterricht nimmt die Kirche Bildungsverantwortung in der pluralen Gesellschaft am Ort der Schule wahr. Sie tut dies in konfessioneller Deutlichkeit und ökumenischer Offenheit. Der Religionsunterricht geschieht unter den Gegebenheiten und Bedingungen der Schule und wird von Kirche und Staat gemeinsam verantwortet.
Aus dieser Aufgabe ergeben sich folgende Ziele:
- Der Religionsunterricht informiert und orientiert über die christliche Tradition und ihre jüdischen Wurzeln, über die Kirche in Geschichte und Gegenwart, über Fragen der Ökumene und des interreligiösen Dialogs sowie über philosophische und außerchristliche Deutungen von Mensch und Welt. Er will Schülerinnen und Schülern Wege zu einem lebensbezogenen Umgang mit der biblischen Überlieferung eröffnen.
- Der Religionsunterricht bringt Fragen und Herausforderungen unserer Zeit zur Sprache; er will Schülerinnen und Schüler zur Auseinandersetzung mit christlichem Glauben und Handeln anregen und sie ermutigen, vom Evangelium her Perspektiven für die eigene Orientierung zu entwickeln. Bei den damit verbundenen Lernprozessen sind die religiöse Entwicklung und Sozialisation der Schülerinnen und Schüler zu beachten.
- Der Religionsunterricht fördert die Selbständigkeit der Schülerinnen und Schüler; er will sie hinführen zu einem vor Gott verantwortlichen achtsamen Umgang mit Mensch und Welt. Er bietet den Schülerinnen und Schülern im Rahmen der schulischen Möglichkeiten Lebenshilfe und Begleitung an. Dazu gehört auch, im Leben der Schule Raum zu schaffen für Innehalten und Feiern, für Gebet und Gottesdienst. Der Religionsunterricht unterstützt von seinem christlichen Menschenbild her soziales und kommunikatives Lernen; er fördert Toleranz und Empathie.
- Der Religionsunterricht bringt die biblische Botschaft nicht nur als historisch Gegebenes zur Sprache, sondern will zugleich offen sein für die persönliche Anrede Gottes an den Menschen. Er will Wege zum Glauben eröffnen und Schülerinnen und Schülern dabei helfen, ihren Ort in der Gemeinschaft der Christen zu bestimmen. Die Schülerinnen und Schüler sollen, auch im Umgang mit bedrückenden Lebenserfahrungen, zu einem Leben aus der Hoffnung des christlichen Glaubens ermutigt werden.
Der Religionsunterricht ist heute geprägt von einer Vielfalt an Konzeptionen und Methoden. Seiner Aufgabe entspricht ein mehrdimensionales Lernen und Lehren. In der spannungsvollen Einheit von Wirklichkeitserfahrung und Glaubensauslegung begegnen sich im Unterricht Lernende und Lehrende als Personen mit einer je eigenen Geschichte. Dass der Religionsunterricht im Vertrauen auf Gott geschehen kann, schließt die Bejahung der menschlichen Grenzen allen Lehrens und Lernens ebenso ein wie die Möglichkeit, immer wieder neu anzufangen. (Leitlinien der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern für den evangelischen Religionsunterricht in Bayern)
1.2 Beitrag des Faches zur Bildung
Die religiös-weltanschauliche Perspektive stellt einen der für das Menschsein grundlegenden Zugänge zu Welt und Wirklichkeit dar. Im Bildungswirken der Schule nimmt der evangelische Religionsunterricht den Anspruch der Schülerinnen und Schüler auf religiöse Bildung ernst. Hierbei knüpft er an Erfahrungen aus der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen an, nimmt den Anspruch jedes Schülers auf religiöse Bildung ernst und trägt zur ganzheitlichen Entfaltung und Entwicklung seiner Persönlichkeit bei.
Die vielfältigen Dimensionen und Ausdrucksformen von Religion und christlichem Glauben bieten den Schülerinnen und Schülern im Religionsunterricht besonders gute Möglichkeiten, ihre individuellen Fähigkeiten und Stärken zu entfalten und von- und miteinander zu lernen. Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf erfahren durch unterschiedliche Formen der Auseinandersetzung, z. B. in Sprache, Bild, Musik und Bewegung, individuelle Möglichkeiten, die eigenen Kompetenzen zu entwickeln.
Während ihrer Zeit am Förderzentrum erleben die Heranwachsenden Phasen wichtiger Umbrüche und Entscheidungen, die auch in religiöse Fragestellungen hineinreichen. Der Religionsunterricht bietet hier besondere Begleitung und Orientierung an. Dabei ist es besonders wichtig, das Selbstwertgefühl der Schülerinnen und Schüler zu fördern und zu festigen. Dies geschieht im Religionsunterricht ganz besonders im Horizont des christlichen Menschenbildes und der Zusage, dass Gottes Zuwendung und Annahme allen Menschen gilt, unabhängig von ihren Begabungen, Möglichkeiten und Leistungen.
Im Religionsunterricht werden die Schülerinnen und Schüler bei der Entwicklung eigener, reflektierter Überzeugungen, gerade auch in Fragen des Glaubens, begleitet. So können sie den Weg vom Kinderglauben zu einem mündigen Glauben gehen. Dazu werden die Schülerinnen und Schüler im Lauf der Schulzeit in einen Prozess des Fragens, Suchens und Entdeckens hineingeführt, in dem es vor allem um ihr Welt- und Selbstverständnis und um ihre Wertvorstellungen und existenziellen Fragen geht. Anfragen an überlieferte Glaubensvorstellungen und -formen und Zweifel werden dabei ernst genommen und ins Gespräch gebracht. In der Begegnung mit anderen und deren Vorstellungen schulen Kinder und Jugendliche ihre Fähigkeit zu Perspektivwechsel und Empathie. Der sorgfältigen und fundierten Entwicklung ihrer religiösen Sprache, Fachsprache und Symbolsprache kommt dabei hohe Bedeutung zu.
Die Frage nach Gott, seinem Wesen, seinem Wirken in der Welt und die Frage nach Jesus Christus sind Ausgangs- und Zielpunkt vielfältiger didaktischer Überlegungen und theologischer Gespräche. Dabei können die Schülerinnen und Schüler eigene Vorstellungen entwickeln und zu biblischem Reden von Gott in Beziehung setzen. Geschichten der Bibel nehmen in diesem Prozess einen zentralen Raum ein. In der Auseinandersetzung mit ihnen erfahren und entdecken Kinder und Jugendliche, dass ihnen diese Geschichten helfen, Situationen des eigenen Lebens zu deuten. Das kann Mut machen und zum Handeln herausfordern.
Im evangelischen Religionsunterricht erhalten Schülerinnen und Schüler Raum für ihr Nachdenken über Umbrüche und Grenzsituationen im Leben von Menschen. Dabei dürfen Fragen zu Leid und Tod oder zu Schuld und Ungerechtigkeit ebenso wenig ausgeklammert werden wie das Angebot einer Auseinandersetzung mit dem eigenen Förderbedarf bzw. der eigenen Lebensform. Heranwachsende werden dabei aufmerksam auf den Wert tragender Beziehungen und die liebende Zuwendung und Begleitung Gottes – gerade in besonderen Lebensphasen. Phasen der Stille, der Ruhe und der Besinnung sind unverzichtbare Elemente eines zeitgemäßen evangelischen Religionsunterrichts. Hier lernen Schülerinnen und Schüler, zu sich selbst zu kommen, zu lauschen, zu staunen, ihre ganz persönlichen Gefühle und Gedanken wahrzunehmen und im Gebet Worte dafür zu finden. Im Erleben und zunehmend eigenverantwortlichen Mitgestalten der Feste und Feiern im Kirchenjahr denken Schülerinnen und Schüler über deren Bedeutung und Hintergrund nach, erleben eigentlichen und bereichernden Sinn und gehen mit altersgemäßen Ausdrucksformen des christlichen Glaubens um.
In einem Lebensumfeld, in dem vielfältige Weltanschauungen, Glaubensvorstellungen und deren Ausdrucksformen aufeinandertreffen, hat der schulische Religionsunterricht die Aufgabe, Religion zu erklären und zu deuten. Er leistet dabei einen wesentlichen Beitrag zu Toleranz und respektvollem Umgang miteinander. Vielfalt als Chance, gegenseitige Wertschätzung, Achtsamkeit im Umgang mit sich selbst und mit anderen sind zentrale Elemente eines Religionsunterrichts, der den Menschen in seiner Gottesebenbildlichkeit ernst nimmt und Inklusion als Grundhaltung anstrebt.
Eingebunden in die Religionsgruppe oder -klasse können Schülerinnen und Schüler entdecken, wie wertvoll es ist, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Zugleich erfahren sie in der Auseinandersetzung mit anderen Konfessionen und Religionen, wie wichtig es ist, zum einen von anderen zu erfahren, was ihnen ihr Glaube bedeutet, zum anderen aber auch über den eigenen Glauben Bescheid zu wissen, eigene Positionen immer wieder zu überdenken und andere Vorstellungen zu respektieren. Der evangelische Religionsunterricht bietet die Möglichkeit, ethische Orientierung in einer sich ständig wandelnden Gesellschaft zu finden. Er bietet den Raum, Lebensfragen zu diskutieren, Zusammenhänge zu erkennen und Perspektiven für ein menschenwürdiges und verantwortliches Reden und Handeln im Sinne des Evangeliums zu entwickeln. Auf dieser Basis werden die Schülerinnen und Schüler zunehmend auskunfts- und dialogfähig im Umgang mit Mitschülerinnen und Mitschülern anderer Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen.
2.1 Kompetenzstrukturmodell
Das Kompetenzstrukturmodell spiegelt die Strukturen des Faches Evangelische Religionslehre wider, an denen die langfristigen Lernprozesse ausgerichtet werden und mit denen kompetenzorientierter Unterricht geplant wird. Es ist für alle Schularten einheitlich. Die prozessbezogenen Kompetenzen bilden den äußeren Rahmen des Modells und gliedern sich in vier Bereiche: wiedergeben und beschreiben, wahrnehmen und deuten, reflektieren und urteilen, sich ausdrücken und kommunizieren. Sie greifen fortlaufend ineinander. Die drei Gegenstandsbereiche christlicher Glaube evangelischer Prägung, Identität und Gemeinschaft sowie Religion in einer pluralen Welt sind aufeinander bezogen und miteinander verschränkt.
Das Kompetenzstrukturmodell des Faches Evangelische Religionslehre erhält eine Erweiterung durch die vier Entwicklungsbereiche Motorik und Wahrnehmung, Denken und Lernstrategien, Kommunikation und Sprache sowie Emotionen und soziales Handeln, deren Zusammenwirken erfolgreiche Lernprozesse ermöglicht. Die persönlichen Ressourcen in den Entwicklungsbereichen sind die Grundlage für die Planung und Gestaltung von Lernsituationen. Dadurch ergeben sich Hinweise und Impulse für die kriterienorientierte Schülerbeobachtung und für die Feststellung des individuellen Entwicklungsstandes.
Wiedergeben und beschreiben
In diesem Kompetenzbereich lernen Schülerinnen und Schüler, wesentliche Inhalte sprachlich und fachsprachlich genau wiederzugeben und zu beschreiben. In der Grundschulstufe werden damit wichtige Grundlagen für den Verständigungsprozess untereinander und mit Menschen anderer Konfessionen, Religionen und Kulturen gelegt. Grundlegendes Wissen und Können aus der Grundschule wird in der Mittelschulstufe mit weiterführenden Inhalten verknüpft, um die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zu erweitern.
Schülerinnen und Schüler zeigen diese Kompetenz, indem sie z. B.
- grundlegende Texte und Geschichten aus der Bibel in altersgemäßer Differenziertheit wiedergeben,
- Inhalte der biblischen Überlieferung beschreiben und einordnen,
- Phänomene religiöser Gegenwartskultur (Lebensformen auch anderer Religionen, Bauwerke etc.) beschreiben,
- mit Begriffen aus der Fachsprache altersgemäß umgehen,
- Gefühle und Befindlichkeiten sprachlich angemessen beschreiben,
- religiöse, weltanschauliche und ethische Positionen zusammenfassen, vergleichen und präsentieren.
Wahrnehmen und deuten
Differenziertes Wahrnehmen von realen und fiktiven Situationen, Texten, Gegenständen und Bildern, aber auch von Befindlichkeiten von Menschen ist die Basis für alle Prozesse des Interpretierens und Deutens, die gerade im Religionsunterricht eine besondere Rolle spielen. Die Schülerinnen und Schüler lernen in diesem Kompetenzbereich eigene Lebenserfahrung und Situationen in ihrem Alltag aus verschiedenen Perspektiven wahrzunehmen und zu deuten. Religiöse Motive und Erscheinungsformen unterschiedlicher Religionen, denen die Schülerinnen und Schüler begegnen, werden von ihnen erkannt und in ihrer Bedeutung erfasst.
Schülerinnen und Schüler zeigen diese Kompetenz, wenn sie z. B.
- sich und ihre Umwelt mit allen Sinnen aufmerksam wahrnehmen,
- eigene Gefühle und Bedürfnisse wahrnehmen und deuten,
- denkerisch und spielerisch unterschiedliche Sichtweisen erproben und darüber Auskunft geben,
- die Ursachen von Konflikten erläutern und differenziert deuten,
- Symbole und Erfahrungen von Menschen miteinander in Beziehung bringen,
- wichtige Gedanken aus der christlichen Überlieferung zu eigenen Vorstellungen und Erfahrungen in Beziehung setzen,
- religiöse Motive und Elemente im Lebensumfeld, in der Kunst oder in der Gesellschaft erkennen und sachgerecht zuordnen.
Reflektieren und urteilen
Mit Blick auf die Bedeutung einer Erziehung zur Mündigkeit im religiösen Bereich kommt diesen beiden Kompetenzen eine hohe Bedeutung zu. Schülerinnen und Schüler lernen, zu einer eigenen Sicht der Dinge zu gelangen, eigene theologische und ethische Vorstellungen in Worte zu fassen und diese in das Gespräch mit anderen einzubringen.
Schülerinnen und Schüler zeigen diese Kompetenz, indem sie z. B.
- eigene Fragen nach Gott und Welt stellen und offen halten,
- in religiösen und ethischen Fragestellungen um einen eigenen Standpunkt ringen,
- sich mit der Not anderer Menschen auseinandersetzen und über Handlungsmöglichkeiten nachdenken,
- weltanschauliche Angebote kritisch prüfen, eine eigene Position finden und vertreten,
- ethische Entscheidungssituationen im individuellen und gesellschaftlichen Leben sowie unterschiedliche Handlungs- oder Verhaltensoptionen aus christlicher Sicht reflektieren,
- über ihre eigene Religiosität bzw. weltanschauliche Prägung nachdenken und sie im Austausch mit anderen weiterentwickeln.
Sich ausdrücken und kommunizieren
Kommunizieren meint zunächst sprachliche Ausdrucksfähigkeit. Nach der lateinischen Bedeutung des Wortes sind auch Formen des verantwortungsvollen, diakonischen und sozialen Handelns eingeschlossen. Im Sinne einer ganzheitlich ausgerichteten Bildung werden in diesem Kompetenzbereich neben sprachlichen auch künstlerische, musikalische und spielerische Fähigkeiten gefördert.
Schülerinnen und Schüler zeigen diese Kompetenz, wenn sie z. B.
- eigene Erfahrungen, Glaubensüberzeugungen und -zweifel zum Ausdruck bringen,
- in religiösen und ethischen Fragen unterschiedlichen Gesprächspartnern aufmerksam zuhören, eigene Gedanken ins Gespräch einbringen und dabei respektvoll mit den Äußerungen anderer umgehen,
- sich ihren Fähigkeiten entsprechend aktiv, etwa in Formen diakonischen Lernens oder im projektorientierten Arbeiten, an der Gestaltung des Zusammenlebens beteiligen,
- mit der Sprache des Gebets und mit liturgischen Formen kreativ und eigenständig umgehen und so persönliche Ausdrucksformen von Spiritualität entdecken und erproben,
- Schulgottesdienste oder Feiern im Rahmen des Kirchenjahrs gestalten,
- ausgehend von christlichen Werten wie Gerechtigkeit oder Frieden Handlungsoptionen im Blick auf ihr soziales und gesellschaftliches Umfeld entwickeln.
Christlicher Glaube evangelischer Prägung
Im Gegenstandsbereich christlicher Glaube evangelischer Prägung geht es um die Beschäftigung mit grundlegenden Fragen und Glaubensfragen, christlichen Traditionen und Werten sowie Ausdrucksformen des christlichen Glaubens, z. B. Worauf verlasse ich mich?, Worauf darf ich hoffen?, Woher weiß ich das? Was trägt mich in einer Krisensituation?
Identität und Gemeinschaft
Im Bereich Identität und Gemeinschaft werden Fragen nach der eigenen Person und dem Zusammenleben mit anderen verbunden, z. B. Wer bin ich?, Wie komme ich mit anderen aus?, Wie verhalte ich mich?, Welche Verantwortung habe ich mir selbst und meinen Mitmenschen gegenüber?, Wie kann ich den Herausforderungen im beruflichen und privaten Leben begegnen?
Religion in einer pluralen Welt
Der Gegenstandsbereich Religion in einer pluralen Welt nimmt Fragen nach anderen Religionen und öffentlichen Ausdrucksformen von Religion in den Blick. Im Dialog, in der Auseinandersetzung und in konkreten Begegnungen können Gemeinsamkeiten und Unterschiede differenziert betrachtet werden z. B. Wie zeigt sich Andersartigkeit?, Wie begegne ich Fremden und Fremdem? Wie finde ich meinen eigenen Standpunkt im Angebot der Religionen und Weltanschauungen?
2.4 Entwicklungsbereiche
Im Unterricht mit Kindern und Jugendlichen mit Sprachstörungen ist die sehr unterschiedlich ausgeprägte Sprachkompetenz zu beachten. Sie beeinträchtigt häufig die sozial-emotionale, kognitive und in der Folge auch die schulische und berufliche Entwicklung und führt zu verschiedenen Bedürfnissen im Unterricht. Der evangelische Religionsunterricht bietet die Chance, junge Menschen mit Sprachstörungen in ihrer individuellen Entwicklung zu unterstützen und ihnen Grundlagen für ein gelingendes Leben trotz sprachlicher Beeinträchtigungen zu geben. In der Unterrichtsvorbereitung und im Unterricht wird besonders auf die Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler und auf die Entwicklungsmöglichkeiten in den folgenden Bereichen eingegangen:
- Motorik und Wahrnehmung
- Denken und Lernstrategien
- Kommunikation und Sprache
- Emotionen und soziales Handeln
Motorik und Wahrnehmung
Im Bereich Motorik und Wahrnehmung liegt ein besonderes Anliegen des Faches Evangelische Religionslehre. Individualisierung und gezielte Ansprache der einzelnen Schülerin und des einzelnen Schülers im Fach Evangelische Religionslehre ermöglichen das Herstellen eines besonderen Zugangs zu den Inhalten des evangelischen Religionsunterrichts.
In einer vertrauensvollen Unterrichtsatmosphäre setzen sich die Schülerinnen und Schüler intensiv mit subjektiven Empfindungen auseinander. Sie nehmen eigene Gefühle und Bedürfnisse sowie die Befindlichkeiten ihrer Mitmenschen wahr und entwickeln Empathie. Differenziertes Beobachten sowie Beschreiben von Mimik, Gestik, Körperhaltung, Bewegungen und Tonfall anhand von Wahrnehmungsübungen und Rollenspielen unterstützen die Weiterentwicklung der pragmatisch-kommunikativen Kompetenzen.
Dabei ist ein Unterricht mit klaren Rahmenbedingungen zielführend. Die Schülerinnen und Schüler lenken ihre Konzentration auf Unterrichtsinhalte, indem ihr auditiver Kanal durch Rituale und Strukturen entlastet wird.
Der evangelische Religionsunterricht lebt von biblischen Geschichten, in denen zentrale Themen des Lebens dargestellt werden. Vor dem Hintergrund der Sprachstörung erweitern die Schülerinnen und Schüler ihre Wahrnehmung im Rahmen ihrer individuellen Voraussetzungen, indem sie biblischen Geschichten folgen. Sie erkennen den Nutzen von konsequenter Visualisierung, um ihr Verständnis zu sichern. Unter Beachtung der geringeren auditiven Merkspanne und eines möglicherweise eingeschränkten Sprachverständnisses ist es notwendig, den Schülerinnen und Schülern Merkstrategien anzubieten, in Gesprächssituationen für Ruhe zu sorgen, Störgeräusche zu reduzieren und auf konsequente Einhaltung der Gesprächsregeln zu achten. Die Schülerinnen und Schüler verstehen die Unterrichtsinhalte, wenn die Lehrersprache auf die individuellen sprachlichen Voraussetzungen der Kinder und Jugendlichen abgestimmt ist und unverständliche Schüleräußerungen für die ganze Lerngruppe wiederholt werden. Die Schülerinnen und Schüler nutzen lautorientierte Handzeichen zur korrekten Aussprache wichtiger Begriffe.
Die Schülerinnen und Schüler reflektieren die angebotenen Unterrichtsinhalte und stellen ihre eigenen Gedanken und Empfindungen mit unterschiedlichen Materialien dar. Gerade Schülerinnen und Schüler mit Sprachstörungen profitieren von der Medienvielfalt und den Ausdruckmöglichkeiten im evangelischen Religionsunterricht.
Denken und Lernstrategien
Der Erwerb religiöser Kompetenzen ist eng mit kognitiven Erkenntnissen zur Entwicklung von Urteils- und Entscheidungsfähigkeit verknüpft. Dabei ist besonders zu beachten, dass Schülerinnen und Schüler mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen mehr Zeit zur Verarbeitung sprachlicher Inhalte benötigen. Trotz ihrer ungünstigen sprachlichen Lernvoraussetzungen erzielen die Schülerinnen und Schülern mit sprachlichen Beeinträchtigungen durch erfolgsorientierte Anforderungen und den Einsatz sprachheilpädagogischer Maßnahmen im evangelischen Religionsunterricht Lernerfolge. Dabei werden sie bei einem angemessenen Umgang mit Erfolgen und Misserfolgen unterstützt.
Im Religionsunterricht entwickeln die Schülerinnen und Schüler in besonderer Weise das metaphorische Denken weiter, da die zentralen Themen (Gott, Heiliger Geist, „Himmel“ etc.) für die Schülerinnen und Schüler unsichtbar und ungreifbar sind. Vor dem Hintergrund eingeschränkter sprachlicher Kompetenzen wird das metaphorische Denken als Chance und Herausforderung wahrgenommen. Schülerinnen und Schüler mit Sprachstörungen müssen hier sowohl in ihrer Ausdrucksform unterstützt werden als auch vielfältige exemplarische Vorstellungen aufgezeigt bekommen.
Ausgehend von eigenen Erfahrungen hinterfragen die Schülerinnen und Schüler Verhaltensweisen, Handlungsmotive und Regeln in ihrem eigenen Lebensumfeld. Die Lehrkraft unterstützt durch mannigfaltige Anregungen die Auseinandersetzung mit philosophischen Fragestellungen. In der gemeinsamen Auseinandersetzung mit eigenen und fremden Bedürfnissen verstehen die Schülerinnen und Schüler die Bedeutung von christlichen Werten für gelingendes Zusammenleben. Rollenspiele fördern den Perspektivenwechsel und die Versprachlichung der Inhalte. Vielfältige Beispiele, Lebensgeschichten und Visualisierungen veranschaulichen die christlichen Wertemaßstäbe, die die Schülerinnen und Schüler zur Meinungsbildung und Entscheidungsfindung heranziehen. Die Schüler entwickeln, reflektieren und bewerten eine eigene Glaubensvorstellung, indem sie zur Haltung der unterrichtenden Lehrkräfte Vergleiche ziehen. Sie formulieren Ergebnisse abstrakter Denkprozesse und kommunizieren sie. Um das Herausbilden eines eigenen Glaubens und eigenen Gottesbildes zu ermöglichen, sind Geschichten der Bibel von zentraler Bedeutung. Die Schülerinnen und Schüler leisten einen Übertrag auf die eigene Existenz und das individuelle Leben, indem sie die Inhalte der Bibel als zentrale Fragestellungen der damaligen Gesellschaft erfassen.
Im Religionsunterricht setzen sich die Schülerinnen und Schüler konstruktiv mit existenziellen Fragen auseinander. Sie bringen religiöse Deutungsmuster mit den eigenen Lebenserfahrungen in Zusammenhang, reflektieren diese Deutungsangebote kritisch und machen sie für das eigene Leben fruchtbar. Die Schülerinnen und Schüler überprüfen theologische Aussagen daraufhin, ob sie der von ihnen erlebten Wirklichkeit standhalten. Das Entwickeln der Fähigkeit sich konstruktiv mit existenziellen Fragen auseinanderzusetzen, ist durchgängige Aufgabe des Religionsunterrichts. Da Schülerinnen und Schüler mit Sprachstörungen ständig ihre Einschränkungen erfahren und Misserfolge erleben, ist die Entwicklung dieser Fähigkeit besonders wichtig, muss aber mit besonderer Sensibilität begleitet werden. Die Schülerinnen und Schüler leisten einen Übertrag biblischer Inhalte auf die eigene Existenz und das individuelle Leben, indem sie die biblischen Texte in ihrer historischen Entstehung verstehen und unter Anwendung geeigneter hermeneutischer Modelle für das Leben im 21. Jahrhundert deuten.
Kommunikation und Sprache
Das Verstehen von Sprache ist eine wichtige Voraussetzung für den Erwerb religiöser Kompetenzen. Da das Gespräch im evangelischen Religionsunterricht eine große Rolle spielt, bietet die Lehrkraft Schülerinnen und Schülern mit Sprachstörungen im Unterricht intensive sprachliche Unterstützung an.
Auch nonverbale Elemente der Kommunikation werden im Religionsunterricht eingesetzt. Dabei reflektieren die Kinder und Jugendlichen die Wirkung der eigenen Körpersprache auf den Kommunikationspartner. Sie nutzen die nonverbale Kommunikation als wichtige Informationsquelle und profitieren von der Entlastung des auditiven Kanals und der Unterstützung des Sprachverständnisses. In diesem Kontext sind kreative und spielerische Unterrichtsformen hilfreich.
Lieder stellen ein zentrales Medium dar, um das gemeinschaftliche Erleben zu stärken. Hierbei sind die individuellen sprachlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler besonders zu beachten. Die Schülerinnen und Schüler analysieren die Bedeutung musikalischer Angebote und nutzen unterschiedliche sprachliche Darstellungsformen. Hierbei unterstützt sie die intensive und vielfältige sprachliche Auseinandersetzung mit Liedtexten. Zentrale Gebete und Lieder werden mit Gesten und Bewegungen unterlegt. Ebenso kann mit Memoriertexten und der musikalischen Gestaltung von religiösen Inhalten umgegangen werden.
Der Religionsunterricht bietet auch ein kommunikationsförderndes Umfeld für die Entwicklung einer religiösen Sprache, Fachsprache und Symbolsprache. Die Schülerinnen und Schüler entwickeln im Unterricht kommunikative Kompetenzen und erproben diese in unterschiedlichen Zusammenhängen. Durch individuelle Hilfestellungen auf den verschiedenen Sprachebenen erleben sie in zunehmendem Maße gelingende Kommunikation.
Aussprache (phonetisch-phonologische Ebene)
Sprachauffällige Kinder sprechen religiöse Fachbegriffe korrekt aus, wenn sie durch das Anbieten des Schriftbildes, Strukturierungshilfen für Wörter und Nutzen eines phonembestimmten Manualsystems unterstützt werden.
Grammatik (morphologisch-syntaktische Ebene)
Die Schülerinnen und Schüler entwickeln religiöse Ausdrucksfähigkeit, indem sie, unterstützt durch Modellierungen der Lehrkraft, wesentliche Inhalte wiedergeben und beschreiben, Zusammenhänge herstellen und eigene Befindlichkeiten, Vorstellungen und Überzeugungen verbalisieren. Sie nutzen dabei Angebote zur Erweiterung ihrer grammatikalischen Strukturen, wie z. B. Satzstarter oder parallele verbalisierte Satzstrukturen.
Wortschatz (semantisch-lexikalische Ebene)
Im Religionsunterricht sind die Schülerinnen und Schüler mit einer Fülle von fachspezifischen Begriffen konfrontiert, die nicht aus ihrem alltäglichen Erfahrungshorizont stammen. Die Schülerinnen und Schüler greifen auf Strategien, die im sprachheilpädagogischen Unterricht erworben wurden, zurück, um Fachvokabular zu erwerben, zu speichern und abzurufen. Sie erfassen die Bedeutung und Form relevanter Wörter, erstellen Wortschatzsammlungen und erweitern so ihren fachbezogenen Wortschatz.
Kommunikation (pragmatisch-kommunikative Ebene)
Der Religionsunterricht bietet vielfältige Möglichkeiten kommunikationsfördernder Zusammenarbeit. Er schafft Situationen und Räume, in denen die Schülerinnen und Schüler mit Sprachproblemen ihre pragmatisch-kommunikativen Kompetenzen weiterentwickeln und trainieren können. Sie erleben und beschreiben die Vorteile einer ruhigen Gesprächsatmosphäre und halten sich an klare Gesprächsregeln. Sie hören anderen zu, lassen sich gegenseitig ausreden und gehen auf das Gesagte angemessen ein. Im Religionsunterricht versprachlichen sie Fragen, Gedanken und Meinungen und nehmen begründet dazu Stellung. Sie finden ihren eigenen Standpunkt und bringen diesen zum Ausdruck. Anhand von biblischen Geschichten entwickeln sie ihre narrativen Strukturen weiter.
Sprachverständnis
Damit religiöse Kompetenz erworben werden kann, muss das Verstehen von Sprache auf allen Sprachebenen immer sichergestellt werden. Die Schülerinnen und Schüler überwachen ihr eigenes Sprachverstehen (Monitoring) und stellen bei Nichtverstehen passende Fragen.
Schriftsprache
Der Religionsunterricht muss die oft eingeschränkten schriftsprachlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf im sprachlichen Bereich berücksichtigen. Die Schülerinnen und Schüler entnehmen sprachlich angepassten und optimierten Lesetexten Informationen. Dabei nutzen sie Hilfen in Form von Nachschlagewerken oder Wortschatzkisten. Planungs- und Strukturierungshilfen unterstützen die Schülerinnen und Schüler beim Verschriftlichen eigener Gedanken und Ideen.
Emotionen und soziales Handeln
Eine wichtige Aufgabe des evangelischen Religionsunterrichts ist es, die Schülerinnen und Schüler in der Entwicklung eines positiven Selbstkonzeptes zu unterstützen, welches durch die Wahrnehmung der eingeschränkten (schrift-)sprachlichen Handlungsmöglichkeiten häufig beeinträchtigt ist. Hier kann der evangelische Religionsunterricht ansetzen und das Stärken der eigenen Selbstsicherheit fördern. Er bietet in der Schule eine Atmosphäre des Vertrauens und des Angenommenseins, in der Kreativität ausgelebt werden kann und eine lebensbejahende christliche Grundhaltung herrscht.
Der Religionsunterricht ist ein Ort, in dem existenzielle Fragen Raum haben. Besonders existenzielle Fragestellungen und Gespräche stellen für Schülerinnen und Schüler mit eingeschränkten sprachlichen Kompetenzen eine große Herausforderung dar. Diese Auseinandersetzung leisten die Schülerinnen und Schüler mit sprachlichen Beeinträchtigungen in einer angstfreien Atmosphäre und mithilfe von Ermutigungen durch die Lehrkraft sowie grammatikalischen und semantischen Hilfestellungen, z. B. Wortspeichern. So verbalisieren sie negative Erfahrungen, Ängste und Hoffnungen in Bezug auf ihre Zukunft, fragen nach der Existenz und Wirklichkeit Gottes und bringen ihre eigenen Vorstellungen zum Ausdruck. In dieser Weise bietet der Religionsunterricht den Rahmen, mit der eigenen Sprachbehinderung offen umzugehen.
Vor allem im Hinblick auf die emotionale Erlebnisdimension des Glaubens wird deutlich, dass die soziale und emotionale Förderung der Schülerinnen und Schüler unterrichtsimmanent realisiert wird. Auf Grundlage des biblischen Menschenbildes erkennen die Schülerinnen und Schüler die Gotteszusage und erfahren die Annahme in der Gemeinschaft. Den Schülerinnen und Schülern gelingt es zunehmend, ihre Beeinträchtigung in das Selbstbild zu integrieren. Sie formulieren selbstbewusst ihre Bedürfnisse und geben Auskunft über ihre Wahrnehmung und Lebensbewältigung. Sie erkennen die Bedeutung der vorbehaltlosen Annahme des Menschen durch Gott, die Bedeutung biblischer „Mutmachgeschichten“ aber auch die der Kreuzestheologie für ihr eigenes Leben.
Der evangelische Religionsunterricht bietet demnach ein gutes Übungsfeld zur Förderung von sozialen Kompetenzen. Durch das gemeinsame Begehen von christlichen Ritualen oder dem Feiern von christlichen Festen können das Gemeinschaftsgefühl und auch die individuelle Persönlichkeitsentwicklung gestärkt werden. Die Schülerinnen und Schüler erfahren sich selber als wichtiges und vollwertiges Mitglied einer Gemeinschaft.
Schließlich bietet der evangelische Religionsunterricht die Möglichkeit, soziale Verantwortung zu thematisieren und ihre Wichtigkeit im sozialen Miteinander zu verdeutlichen. Er stellt in besonderer Weise einen Übungsraum dar, in dem die Schülerinnen und Schüler mit ihren individuellen sprachlichen Voraussetzungen ihr soziales Handlungsrepertoire erweitern. Die Schülerinnen und Schüler wenden sozial angemessene Umgangsformen an und übertragen christliche Werte auf ein gelingendes Zusammenleben. Sie reflektieren die soziale Verantwortung innerhalb der Gemeinschaft und für das eigene Handeln. Die Grundaussagen des evangelischen Religionsunterrichtes stellen einen Orientierungsrahmen dar.
2.5 Besonderheiten der Kompetenzorientierung im evangelischen Religionsunterricht
Kompetenzorientierter Unterricht im Fach Evangelische Religionslehre erfordert auch ein Verständnis für die Grenzen dieses Konzepts.
- Kompetenzerwartungen beschreiben die Ergebnisse von Lernprozessen und stoßen dort an ihre Grenzen, wo diese Ergebnisse mit Rücksicht auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit der Schülerinnen und Schüler nicht vorgegeben werden können und dürfen, z. B. bei Glaubensüberzeugungen oder religiösen Handlungen. Gleichwohl bietet der Religionsunterricht zahlreiche Gelegenheiten, eigene Überzeugungen auszubilden und diese im Austausch mit anderen zu vertreten.
- Neben dieser eher formalen Grenze sind es die Inhalte des Faches selbst, die eine Einschränkung erfordern. Ausgehend von einem christlichen Menschenbild ist eine einseitige Ausrichtung auf das Können und die Fähigkeiten eines Menschen zu relativieren. Stattdessen ist ein Bewusstsein dafür anzubahnen und wachzuhalten, dass der Mensch mehr ist, als in seinen Kompetenzen sichtbar zum Ausdruck kommen kann. Er ist Geschöpf Gottes und bezieht seine Würde nicht aus seinem Handeln.
Es ist Aufgabe und Herausforderung für Religionslehrerinnen und -lehrer, mit diesen Besonderheiten des Faches bewusst umzugehen.
3 Aufbau des Fachlehrplans im Fach Evangelische Religionslehre
Die entwicklungsbezogenen Kompetenzen in den Bereichen Motorik und Wahrnehmung, Denken und Lernstrategien, Kommunikation und Sprache und Emotionen und soziales Handeln bilden die Grundlage für den individuellen Kompetenzerwerb im Fach Evangelische Religionslehre.
In der Grundschulstufe werden in zehn Lernbereichen inhaltliche Schwerpunkte gesetzt. Dabei werden in der Regel innerhalb eines Lernbereichs mehrere Gegenstandsbereiche des Kompetenzstrukturmodells aufgegriffen.
Die einzelnen Lernbereiche der Jahrgangsstufen 1 und 2 korrespondieren mit jenen der Jahrgangsstufen 3 und 4. Dadurch werden vielfältige Möglichkeiten für aufbauendes Lernen geschaffen. Innerhalb der genannten Jahrgangsstufen sind die Lernbereiche untereinander stark vernetzt. Bestimmte biblische Geschichten etwa sind Teil mehrerer Lernbereiche und werden dort aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet.
Die separat ausgewiesenen Inhalte geben klare Zuordnungen vor, lassen aber auch eine Fülle an Auswahlmöglichkeiten zu. Dies betrifft in besonderer Weise die angegebenen Lieder aus dem Evangelischen Gesangbuch (EG) und aus dem lernmittelfreien Liederbuch Mitten unter uns (MUU). Die Angaben der Bibelstellen dienen der Orientierung für die Lehrerinnen und Lehrer. Im Sinne eines kontinuierlichen Aufbaus von Fachsprache werden in manchen Lernbereichen wesentliche Begriffe angegeben. Diese Auswahl ist bewusst knapp gehalten.
In der Mittelschulstufe werden für die Jahrgangsstufen 5 bis 8 jeweils fünf, in 9 und M10 vier Lernbereiche vorgegeben und inhaltliche Schwerpunkte gesetzt. Diese beziehen sich einerseits auf das Kompetenzstrukturmodell und berücksichtigen andererseits das Alter und die Entwicklungsphasen der Schülerinnen und Schüler.
Im Sinne eines aufbauenden Lernens ziehen sich diverse thematische Lernstränge durch die verschiedenen Jahrgangsstufen hindurch. Diese beginnen zum großen Teil schon in der Grundschulstufe und werden bis zur Jahrgangsstufe 9 bzw. 10 fortgeführt. Dabei werden die Zugänge und Fragestellungen vertieft und zunehmend differenzierter.
Der Fachlehrplan für die Mittlere-Reife-Klassen ist eng an den Fachlehrplan für die Regelklassen angebunden. Die Unterschiede liegen vor allem in einem erhöhten Anforderungsniveau einzelner Kompetenzerwartungen sowie daraus folgender inhaltlicher Ausweitung und Differenzierung.
Sowohl für die Grundschul- wie die Mittelschulstufe gilt, dass mit Blick auf die große Heterogenität in der Zusammensetzung der einzelnen Religionsgruppen und -klassen es Aufgabe der Lehrerinnen und Lehrer ist, Schwerpunkte zu setzen, einzelne Themen und Lernbereiche intensiver, andere eher überblicksartig anzubieten. Das Konzept der Kompetenzorientierung ermöglicht es in besonderem Maße, konstruktiv und angemessen mit dieser zunehmenden Heterogenität in Religionsgruppen umzugehen. Für jahrgangsübergreifende Klassen werden die Lehrkräfte einen klassenbezogenen Lehrplan erstellen, ausgehend von der Zusammensetzung der Gruppe und den für die jeweiligen Jahrgangsstufen vorgesehenen Lernbereichen.
4 Zusammenarbeit mit anderen Fächern
In besonderer Weise wird im Fach Evangelische Religionslehre zunächst die Zusammenarbeit mit den anderen an der jeweiligen Schule vertretenen Konfessionen, insbesondere mit dem katholischen Religionsunterricht, angestrebt. Im Erproben verschiedener Möglichkeiten der Kooperation können Gemeinsamkeiten entdeckt und unterschiedliche konfessionelle Zugänge und Entwicklungen bedacht werden. Dies dient einem besseren Verständnis der eigenen Konfession ebenso wie der Einübung ökumenischer und philosophischer Gesprächsfähigkeit. Darüber hinaus wird in Beziehung zu anderen Religionen und Weltanschauungen Dialogfähigkeit angebahnt.
Aufgrund seiner dialogischen Offenheit und seines breiten Themenspektrums eignet sich der evangelische Religionsunterricht aber auch für fächerverbindendes Denken und Kooperieren. Im Dialog z. B. mit Ethik, Deutsch, Kunst oder Musik leistet er einen eigenständigen Beitrag, die Welt wahrzunehmen, zu deuten und zu verstehen und einen Sinn im Leben zu entdecken.
Der Religionsunterricht bietet viele Möglichkeiten zu Unterrichtsprojekten, die in Kooperation mit anderen Fächern oder Klassen durchgeführt werden können. Besonders sind hier die Feste des Kirchenjahrs und ihre Gestaltung im Schulleben zu nennen. Durch einen sprachsensiblen Unterricht werden für mehrsprachige Schülerinnen und Schüler die sprachlichen Voraussetzungen für gelingendes Lernen und erfolgreichen Kompetenzerwerb geschaffen.
5 Beitrag des Faches Evangelische Religionslehre zu den übergreifenden Bildungs- und Erziehungszielen
Das Fach Evangelische Religionslehre leistet Beiträge zu vielen der schulart- und fächerübergreifenden Bildungs- und Erziehungsziele. Folgende sind dabei besonders zu nennen:
Soziales Lernen, Familie- und Sexualerziehung
Ausgehend vom christlichen Menschenbild geht es im evangelischen Religionsunterricht häufig um die Frage, wie Leben und Zusammenleben in privaten, partnerschaftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen gelingen kann. Vor allem die Geschichten von Jesus, sein Leben und Wirken, und die Gebote (in der Überlieferung des Alten Testaments und ihren neutestamentlichen Interpretationen) geben wichtige Impulse für eine ethische Orientierung im Alltag. Ausgehend von der Verheißung des eigenen Angenommenseins, der Zuwendung Gottes zu jedem einzelnen Menschen, auch in Schuld und Scheitern, hinterfragen die Schülerinnen und Schüler eigene Haltungen und Handlungsmuster und erproben ihre Empathie, Kommunikations- und Konfliktfähigkeit. Im Bereich des Sozialen Lernens sowie für die Familien- und Sexualerziehung ergeben sich damit vielfältige Lernchancen.
Kulturelle und Interkulturelle Bildung
Der evangelische Religionsunterricht leistet zu einer Kulturellen und Interkulturellen Bildung einen besonderen Beitrag. In der Auseinandersetzung mit der eigenen Religion und Konfession nehmen Schülerinnen und Schüler wesentliche Ausdrucksformen der christlich-abendländischen Kultur wahr. Auf dieser Basis wachsen Verständnis und Wertschätzung z. B. für christliche Kunst und Musik, auch für Kirchenräume und deren Bedeutung. Die Ausbildung einer eigenen religiösen Identität wird gefördert. Dies ist grundlegend für die Fähigkeit, mit Menschen anderer Kulturen und Überzeugungen in Dialog zu treten, Stereotype zu hinterfragen, Toleranz einzuüben und kritisch mit medialen Darstellungen umzugehen. Dafür erweitern die Schülerinnen und Schüler ihre Kenntnisse und ihr Verständnis für andere Weltreligionen und Weltdeutungen, um sich von Anfang an sachlich fundiert mit diesen auseinanderzusetzen und Fremde und Fremdes zu verstehen. Leben in einer zunehmend multikulturellen Gesellschaft kann so in schüler- und schülerinnengerechter Weise angebahnt werden.
Sprachliche Bildung
Bei all dem kommt der Sprachlichen Bildung eine wichtige Bedeutung zu. Schülerinnen und Schüler lernen, eigene Befindlichkeiten, Vorstellungen und Überzeugungen in Worte zu fassen, einen eigenen Standpunkt einzunehmen; sie lernen auch, einander zuzuhören und die Äußerungen anderer nachzuvollziehen. Auf dieser Basis kann ein respektvoller Umgang miteinander eingeübt und im Raum der Schule gelebt werden. Außerdem wird die Fähigkeit gefördert (bzw. entwickelt), symbolische und metaphorische Sprache zu benutzen. Bei der Kommunikation über religiöse und emotionale Sachverhalte ist diese Fertigkeit unumgänglich.
Werteerziehung
In der Begegnung und Auseinandersetzung mit christlicher Überlieferung und christlichem Glauben bilden die Schülerinnen und Schüler eigene Überzeugungen, ethische Grundprinzipien und Wertvorstellungen aus und reflektieren deren Anwendungen im Lebensalltag. Der evangelische Religionsunterricht bietet einen Rahmen, in dem gemeinsame Überzeugungen gesucht und unterschiedliche Vorstellungen respektiert und ausgehalten werden können.
Bildung für Nachhaltige Entwicklung (Umweltbildung, Globales Lernen)
Bewahrung der Schöpfung, Gerechtigkeit in der „Einen Welt“ und Einsatz für Frieden im nahen und weiten Lebensumfeld sind grundlegende christliche Anliegen und damit auch Themen des Religionsunterrichts. Dabei werden Verantwortungsbewusstsein und Empathie nicht nur theoretisch verhandelt. In Projekten begegnen die Schülerinnen und Schüler Menschen, die Nächstenliebe konkret praktizieren und sich vor Ort oder weltweit für ein menschenwürdiges Leben und einen fairen, nachhaltigen Umgang mit Ressourcen einsetzen.
Berufliche Orientierung
Der evangelische Religionsunterricht in der Mittelschulstufe begleitet die Schülerinnen und Schüler bei der Berufsorientierung in zweifacher Weise: Er unterstützt und stärkt die eigene Persönlichkeit, die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung sowie zum Einsatz der eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Gleichzeitig vermittelt er den Zuspruch, dass Gott sich dem Menschen zuwendet, unabhängig von dessen Leistung, Erfolg und Vermögen. Gerade für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf Sprache ist der Zuspruch beim Erleben der Begrenztheit der Berufswahl von größter Bedeutung.