Bei jedem Menschen gestalten sich der individuelle Kompetenzerwerb und die soziale Teilhabe im wechselseitigen Zusammenspiel von persönlichen Gegebenheiten und sozialem Umfeld. Für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung ergeben sich in diesen Prozessen spezifische Erschwernisse.
Ebenso wie Kinder und Jugendliche ohne Beeinträchtigungen kommen Schülerinnen und Schüler mit dem Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung mit vielfältigen Vorerfahrungen in die Schule. Ihre Biografien sind gekennzeichnet vom Aufwachsen in unterschiedlichen familiären und soziokulturellen Situationen (z. B. Lebensumfeld außerhalb der Familie, Aufwachsen mit nur einem Erziehungsberechtigten, Migrationshintergrund) und von Lernerfahrungen, die sie in verschiedenen vorschulischen Einrichtungen (z. B. Frühförderung, Schulvorbereitende Einrichtung, Kindertagesstätte) sowie bisweilen auch in unterschiedlichen Schulen (Grundschule, Mittelschule, Förderzentrum mit einem anderen Förderschwerpunkt) gemacht haben.
Sonderpädagogischer Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung hat komplexe Ursachen und offenbart sich in überaus unterschiedlichen Erscheinungsformen. Aus diesem Grund stellen Schülerinnen und Schüler mit einem körperlichen und motorischen Förderbedarf eine höchst heterogene Gruppe dar.
Die Schülerinnen und Schüler weisen geringe bis umfängliche, häufig dauerhafte körperliche Beeinträchtigungen auf. Hinsichtlich der betroffenen Körperregionen lassen sich auf der Ebene der medizinisch beschreibbaren Schädigung unterscheiden:
- Schädigung des Zentralnervensystems (Gehirn und Rückenmark)
- Schädigung der Muskulatur und des Knochengerüsts
- Chronische Krankheiten und Fehlfunktionen von Organen
Durch die körperlich-motorische Schädigung können die Verhaltensmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler so beeinträchtigt sein, dass ihre Aktivitätsmöglichkeiten und die Selbstverwirklichung in sozialer Interaktion erschwert sind. Inwieweit die Schülerinnen und Schüler jedoch tatsächlich Erschwernisse durch eine körperliche Beeinträchtigung oder chronische Erkrankung erfahren, ist auch davon abhängig, in welchem Ausmaß und in welcher Form im Umfeld angepasste Aktivitäts- und Teilhabemöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden.
Der Zusammenhang zwischen körperlicher Schädigung und Umfeldbedingungen erfordert jenseits von Kategorisierungen eine ganzheitliche Sichtweise auf Schülerinnen und Schüler mit dem Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung.
Für die Verwirklichung ihrer individuellen Möglichkeiten benötigen die Schülerinnen und Schüler Unterstützung in individuell angemessener Form und Intensität. Diese Unterstützung erfolgt umfassend im Hinblick auf unterschiedliche Lebensvollzüge und Lernprozesse und berücksichtigt neben den körperlichen Erschwernissen auch sekundäre Beeinträchtigungen wie z.B. Schwierigkeiten im Bereich des Lernens, der Wahrnehmung, der Sprache und des Sprechens sowie im sozial-emotionalen Bereich.
Schülerinnen und Schüler können im Laufe ihrer Biografie oftmals körperliche oder motorische Erfahrungen nur erschwert oder gar nicht machen und teilweise in ihren Explorationsmöglichkeiten eingeschränkt sein. Dieses individuelle Ausmaß an Erfahrungen und Vorwissen zu berücksichtigen und durch pädagogische Angebote zu einer Erweiterung der individuellen Kompetenzen beizutragen, ist zentrales Anliegen im Förderschwerpunkt.
Körpererfahrungen bilden die Grundlage für die Entwicklung eines Bewusstseins für die eigene Identität. Diese wird im Wechselspiel von Individuum und dessen personeller Umwelt geprägt. Für Schülerinnen und Schüler mit körperlichen Beeinträchtigungen können diese Interaktionen erschwert sein. Erlebnisse des Nicht-alleine-Könnens, gerade auch in elementaren Situationen wie der Nahrungsaufnahme, der Hygiene oder autonom erlebter Mobilität sowie der Vergleich der eigenen motorischen Möglichkeiten mit denen anderer, beeinträchtigen ebenfalls die Entwicklung positiver Selbstwirksamkeitserwartungen.
Lehrkräfte unterstützen die Entwicklung eines stabilen Identitätsbewusstsein. Sie unterstützen die Schülerinnen und Schüler in allen Entwicklungsphasen darin, auch die spezifischen körperlichen Gegebenheiten als ein Merkmal ihrer Individualität zu begreifen und sich in ihrer Gesamtpersönlichkeit anzunehmen. Dabei kommt auch der sozialen Partizipation in der Klasse – gerade in inklusiven Schulsettings – eine entscheidende Rolle zu.
Sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich der körperlichen und motorischen Entwicklung kann oftmals mit der Notwendigkeit von Therapien und Pflege sowie Assistenz bei der Verrichtung motorischer Handlungen einhergehen. Die Schülerinnen und Schüler erfahren so in vielen Bereichen ihres Lebens, dass sie in unterschiedlichem Ausmaß auf Hilfestellungen und Unterstützung angewiesen sind. Das damit einhergehende Abhängigkeitsverhältnis sowie das Spannungsfeld zwischen Schonraum, Unterstützung und dem Anspruch auf Freiräume ist unter der Zielperspektive der Selbstständigkeit, Aktivität und Teilhabe zu reflektieren.
Während die Leistungsfähigkeit der Körpermotorik in der Regel beeinträchtigt ist, entsprechen die individuellen Ausprägungen der Kognition und der Emotion der Vielfalt menschlicher Leistungs- und Verhaltensweisen. So teilen sich Schülerinnen und Schüler mit körperlichem und motorischem Förderbedarf auf unterschiedliche Weise mit: Gefühle und Emotionen, auch im Hinblick auf die eigene Beeinträchtigung oder in essentiellen Situationen wie der Pflege, werden nicht immer durch externale Verhaltensäußerungen zum Ausdruck gebracht und können ohne differenzierte Beobachtung in der intrapsychischen Wirklichkeit verborgen bleiben. Manche Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen mit einem zusätzlichen Förderbedarf im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung fallen jedoch auf, wirken unangemessen und stellen eine Herausforderung dar. Dem pädagogischen Handeln im Förderschwerpunkt liegt das Verständnis zugrunde, dass eine Einordnung von Verhalten immer aufgrund einer spezifischen und individuellen Erwartungsnorm erfolgt. Aus Sicht der Schülerinnen und Schüler kann ihr persönliches Empfinden und Handeln als angemessen angesehen werden. Diese subjektiv empfundene Sinnhaftigkeit muss erkannt und berücksichtigt werden. Eine reflektierte Haltung der Lehrkräfte, klar strukturierte und für die Schülerinnen und Schüler nachvollziehbare Umfeldbedingungen sowie eine systematische Verhaltensbeobachtung und -dokumentation sind Grundlage für die Erarbeitung von individuellen oder standortbezogenen Konzepten für Erziehung und Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit einem zusätzlichen emotionalen und sozialen Förderbedarf. Dem kooperativen Austausch, als Basis für konsistente Handlungen aller an Unterricht und Erziehung Beteiligten, kommt im Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen eine zentrale Bedeutung zu.
Das Grundbedürfnis von Menschen, sich anderen mitzuteilen und sich auszutauschen, ist bei Kindern und Jugendlichen mit eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten in gleicher Weise vorhanden. Kommunikation ist Entwicklungsgrundlage und stellt einen entscheidenden Teil für Selbstbestimmung und soziale Teilhabe dar.
Unterricht und Förderung für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung berücksichtigen auch die Lebenswirklichkeit von Schülerinnen und Schülern, deren Biografien von Operationen, längeren oder regelmäßigen Krankenhaus- oder Rehabilitationsaufenthalten und gesundheitlich kritischen sowie existentiell bedrohlichen Lebensphasen geprägt werden. Entwicklungsverläufe mit unter Umständen abwechselnd auftretenden Entwicklungsfort- oder -rückschritten und vor allem mit progrediente Erkrankungen stellen im Hinblick auf die Begleitung der betroffenen Schülerinnen und Schüler eine sonderpädagogische und auch menschliche Herausforderung für die Lehrkraft dar. Behinderung kann auch bedeuten, dass Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern sich bereits sehr früh mit dem Tod auseinandersetzen müssen. Bildung beinhaltet dann auch die Unterstützung bei der Gestaltung der verbleibenden Lebenszeit. Die Schule ist in der Verantwortung, gemeinsam mit den Eltern und anderen Bezugspersonen diese Schülerinnen und Schüler in der Besonderheit ihrer Lebensperspektiven zu begleiten.