In der Bildung blinder und sehbehinderter Schülerinnen und Schüler geht Ästhetische Bildung über die Beschränkung auf ein Fach hinaus und wird als pädagogisches Prinzip verstanden, das grundsätzlich in alle Lernprozesse integrierbar ist. Die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich Sehen werden in ihrer sinnlichen Wahrnehmung ganzheitlich angesprochen und zur Entfaltung all ihrer schöpferischen Möglichkeiten und Fähigkeiten befähigt. Schwerpunkte bilden die Differenzierung der Wahrnehmung, selbständiges, kreatives Gestalten und Darstellen von Vorstellungen, Gedanken und Gefühlen sowie die Vermittlung elementarer praktischer Fertigkeiten. Durch eine sachgerechte Auswahl und Verarbeitung verschiedenster Materialien sammeln die Schülerinnen und Schüler in handelnder, sinnennaher Weise Grunderfahrungen im Umgang mit verschiedenen Farben und Formen und Tastqualitäten und bauen räumliche Vorstellungen auf.
Blinde und (hochgradig) sehbehinderte Schülerinnen und Schüler erwerben durch systematisches Einüben die sichere Anwendung von Grundtechniken und Arbeitsweisen, wie z.B. Schneiden, Kleben oder Fädeln, und nutzen diese, um ihre Wahrnehmungsfähigkeiten zu erweitern, ihre haptische Wahrnehmung und Handgeschicklichkeit zu verfeinern und die Handmuskulatur zu stärken. Sie führen Arbeiten zunehmend planvoll aus und übertragen ihre Fähigkeiten auf die selbständige Bewältigung des Alltags. Eine enge Verknüpfung des Kompetenzerwerbs mit dem Training für lebenspraktische Fertigkeiten ist empfehlenswert.
Die Schülerinnen und Schüler bauen aufgrund zahlreicher Erfahrungen ein Urteilsvermögen für ästhetisch-kulturelle Phänomene der Umwelt auf und beschreiben vielfältige Ausdrucksweisen und Erscheinungsformen als eine wesentliche Form menschlicher Kommunikation und Entfaltung sowie als Teil ihres Selbst- und Weltverständnisses. Im Fach Ästhetische Bildung erweitern die Schülerinnen und Schüler ihre kommunikativen und sozialen Kompetenzen, die sie zu einer gelingenden Lebensbewältigung befähigen. Auch im Hinblick auf ihre spätere Berufsorientierung wenden Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich Sehen erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten in den Bereichen Kreativität und Flexibilität an, um z.B. Berufsfindungsprozesse zu gestalten. Sie setzen ihre Kompetenzen auch zu einer adäquaten Selbsteinschätzung eigener Stärken und Schwächen sowie einer aktiven sinnerfüllten Freizeitgestaltung bewusst ein.
Eine Seheinschränkung mit ihren Begleiterscheinungen und Folgen wirkt sich auf ästhetisches Erleben und Erfahren aus. Der individuellen Entwicklung der Schülerinnen und Schüler in Bezug auf Wahrnehmung, Vorstellungs- und Begriffsbildung, Motorik und Lernvoraussetzungen tragen die Inhalte des Fachs Ästhetische Bildung in besonderer Weise Rechnung, wobei auch die Wirksamkeit von Fördermaßnahmen und der Einsatz optischer Hilfsmittel mitbedacht werden.
Der gesamte Unterricht berücksichtigt die Neigungen, Interessen und Fähigkeiten sowie die individuellen visuellen und taktilen Wahrnehmungsfähigkeiten der Schülerinnen und Schüler, sodass sie die Voraussetzungen finden, ihre individuellen Ausdrucksmöglichkeiten und kreativen Potenziale zu erproben und zu entfalten. Auf die Erlebniswelt und Emotionalität der Schülerinnen und Schüler bezogene Unterrichtsangebote in einem lebendigen, sozial-integrativen Kontext nutzen die Schülerinnen und Schüler, um grundlegende ästhetische Erfahrungen zu sammeln, differenziertes und zugleich ganzheitliches Wahrnehmen zu erleben und sinnliche Eindrücke mit schöpferischen Mitteln auszudrücken und ihre Umwelt mit zu gestalten.
Zum Kompetenzerwerb im Fach Ästhetische Bildung nutzen die Schülerinnen und Schüler vielfältige Aktivitäten kreativer Erfindung und Darstellung sowie Angebote zur Wahrnehmungs- und Bewegungsförderung. Sie verbinden expressives Darstellen und Gestalten bewusst mit dem eigenen körperlichen Erleben und dem eigenen Körperschema. Erfahrungen aus rhythmischen Übungen, aus dem darstellendes Spiel, der Umsetzung von Tanzelementen, aus dem spielerischen Bewegungserleben sowie aus Übungen zur sensorischen Integration und zur Atmung setzen die Schülerinnen und Schüler zum Ausbau und zur Sensibilisierung von Körperbewusstsein und Körperempfindung ein.
Im eigenständigen Gestalten verwenden die Schülerinnen und Schüler eine Vielzahl unterschiedlicher Materialien, Verfahren und Gestaltungsprinzipien, mit denen sie ihrer Fantasie Ausdruck geben. Das Sammeln von Objekten, das Betrachten von Gebrauchsgegenständen und Werken der Kunst lenkt die Aufmerksamkeit blinder und sehbehinderter Schülerinnen und Schüler auf die Vielfalt der Formen und ihren ästhetischen Reichtum und trägt dazu bei, persönliche Wertbeziehungen zur gegenständlichen Welt aufzubauen und eigene Qualitätsmaßstäbe zu entwickeln, die sich ggf. von denen ihrer sehenden Mitmenschen unterscheiden. Auch wenn das Gestalten mit Farbe blinden Schülerinnen und Schülern erschwert ist, wird gemeinsam die Möglichkeit und Wirkung großflächiger farbiger Gestaltungsversuche erprobt und bewertet. Auch blinde Schülerinnen und Schüler verbinden Farbbezeichnungen mit Gefühlsqualitäten und setzen den farbigen kreativen Ausdruck zur Äußerung und Differenzierung von Gefühlen ein.