Die griechische Literatur bietet die ältesten Texte unseres Kulturkreises, die in ihren Inhalten, Gattungen und Stilmustern zu wirkungsmächtigen Vorbildern der Weltliteratur geworden sind. Das Fach Griechisch versteht sich somit als grundlegend für die Auseinandersetzung mit der langen kulturellen Tradition Europas und der westlichen Welt. Es leitet ausgehend von griechischen Texten (zunächst Lehrbuch-, später Originaltexten) zu intensiver Beschäftigung mit der griechischen Sprache, Mythologie und Geistesgeschichte sowie mit den zeitlosen Fragen menschlichen Lebens an. Dabei erkennen die Schülerinnen und Schüler in der griechischen Antike ein bis heute tragendes Fundament europäischen Denkens.
Als grundlegender Beitrag zur vertieften Allgemeinbildung am Gymnasium wird somit Orientierungswissen aufgebaut, welches aufgrund der zeitlichen Distanz dazu befähigt, sich sachlich und frei von aktuellen Wertungen mit zentralen Themen menschlichen Daseins auseinanderzusetzen, z. B. mit der Weltdeutung in Mythos, Philosophie und Geschichtsschreibung, mit der Bedeutung der inneren und äußeren Freiheit für den Menschen (u. a. Homer, Ilias und Odyssee; Herodot, Historien; Thukydides, Der Peloponnesische Krieg, Platon, Dialoge), mit der Frage nach dem menschlichen Glück (u. a. Sappho; Herodot, Historien; Platon, Apologie), mit dem Ringen um ein ethisch verantwortungsvolles Handeln (u. a. Sophokles, Antigone; Sophisten; Platon, Dialoge), mit den Möglichkeiten und Grenzen einer rein rationalen Wissenschaft (Vorsokratiker) und mit dem Verhältnis von Individuum und Staat (u. a. Solon, Elegien; Sophokles, Antigone; Platon, Politeia).
Die Analyse geschichtlicher Prozesse der Antike, verschiedener Verfassungsstrukturen und zentraler politischer Ideen hat dabei einen hohen Stellenwert, ebenso die kritische Auseinandersetzung mit der Überzeugungs- und Manipulationskraft von Sprache. Die Jugendlichen können das Entstehen verschiedener politischer Verfassungen – bis hin zur Demokratie – in einer historischen Kommunikation mitverfolgen und heutige Ausprägungen dieser Verfassungen besser verstehen. Durch die Begegnung mit antiken Kontrastmodellen, die auch negative Erfahrungen mit Tyrannei oder radikaler Demokratie thematisieren, werden die Schülerinnen und Schüler im Fach Griechisch zu ständigem Vergleich mit der Gegenwart angehalten und zu aktualisierendem Transferdenken aufgefordert.
Die Schülerinnen und Schüler entwickeln durch die Begegnung mit griechischen Originaltexten und deren kulturellem Kontext ein Empfinden für die Schönheit von Sprache, Literatur und Kunst, das über den ästhetischen Genuss hinaus auch die Reflexion über Kriterien ästhetischer Qualität fördert und Orientierung bietet. Aufgrund der Literaturkompetenz, die im Griechischunterricht entsteht, wird auch Freude am verständigen Lesen anspruchsvoller literarischer Texte geweckt.
Die fachspezifisch intensive Auseinandersetzung mit Sprache und Text fördert die Ausdrucks- und Analysefähigkeit im Deutschen, die Lesekompetenz sowie die Fähigkeit zur Erschließung komplexer Texte; dies kommt auch dem weiteren Fremdsprachenerwerb zugute.
Die Kenntnis des Griechischen erleichtert zudem das Erschließen und das souveräne Verwenden vieler Fremdwörter, u. a. aus der Begriffswelt moderner Technik und Wissenschaft.
Durch genaue Sprachbetrachtung und gründliche Beschäftigung mit Texten sowie ihrem kulturellen Kontext eignen sich die Schülerinnen und Schüler auch unter Nutzung geeigneter digitaler Medien wesentliche Lern- und Arbeitstechniken sowie Strategien der Selbstorganisation an. Damit können sie ihr Vorgehen bewusst an den fachspezifischen, auf Präzision zielenden Erfordernissen ausrichten, ihre Lernfortschritte selbst einschätzen, unterschiedlichste Aufgaben- und Problemstellungen eigenständig und systematisch lösen sowie ihre Arbeitsergebnisse selbstkritisch überprüfen.