Das Fach Ethik will den Schülern eine Orientierungshilfe bei Fragen und Problemen aus ihrem unmittelbaren Erfahrungsbereich in Alltag, Familie und Schule geben. Im Lauf der Schulzeit weitet sich der Blick auf größere Zusammenhänge und wichtige ethische Probleme und Antworten. Dabei hat das Fach im Fächerkanon der Realschule die Aufgabe, die Schüler bei ihrer Suche nach eigenen Lebenszielen und dem damit verbundenen Zurechtfinden in der Gesellschaft zu unterstützen. Die individuelle Entfaltung der Persönlichkeit soll im Bewusstsein sozialer Bindungen auf der Grundlage von Wertmaßstäben gefördert werden, die einer pluralistischen Gesellschaftsordnung entsprechen. Indem das Fach Ethik die Schüler zu „werteinsichtigem Urteilen und Handeln" (Art. 47 BayEUG) befähigt, leistet es einen wesentlichen gesellschaftlichen Beitrag zu einem Miteinander auf der Grundlage gesellschaftlich anerkannter Wertvorstellungen. Gleichzeitig schafft es damit eine wichtige Voraussetzung für ein gelingendes Leben des Einzelnen.
Für Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, ist der Ethikunterricht Pflichtfach (Art. 476 Abs. 1 BayEUG). Er orientiert sich in seiner grundlegenden Zielsetzung an den sittlichen Grundsätzen, wie sie in der Verfassung des Freistaates Bayern und im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland niedergelegt sind, und berücksichtigt die Pluralität der Bekenntnisse und Weltanschauungen. Insbesondere orientiert er sich bezüglich seiner inhaltlichen Rahmenbedingungen an den Aussagen der Bayerischen Verfassung in Artikel 131 und den Festlegungen des Grundrechtekatalogs im Grundgesetz. Die Erziehung zu Toleranz, Selbstbeherrschung und Achtung der Überzeugungen des Andersdenkenden sowie zur Übernahme von Verantwortung sind Ausdruck dieser Orientierung. Unverzichtbares Fundament des Ethikunterrichts ist die Achtung vor der Würde des Menschen. Er leistet auf diese Weise einen Beitrag zur Gewissensbildung der Schüler. Dabei ist stets zu berücksichtigen, dass das Fach Ethik in der Realschule auf den grundlegenden Beitrag des Elternhauses zur Moralerziehung angewiesen bleibt und diesen auch in seinem pädagogischen Anspruch zu berücksichtigen hat.
Die Schüler erleben in der Realschule wichtige Phasen ihrer Persönlichkeitsentwicklung bis hin zu Entscheidungen über Bildungsabschlüsse, Berufswahl, Ausbildung, Partnerschaft und Familie. Um die Schüler zu bewusstem Handeln und verantwortlicher Lebensführung anzuleiten, zielt das Fach in der Realschule auf die Entwicklung einer von Vernunft geleiteten Persönlichkeit, die selbständig überlegt und handelt, die eigene Haltungen und Denkmuster kritisch infrage stellt und die sich der Bedeutung des Mitmenschen und der Mitwelt bewusst ist. Im Ethikunterricht wird nicht nur ein begrifflich differenziertes Gespräch und ein aufmerksames gegenseitiges Zuhören gefördert, sondern vor allem auch Weltoffenheit und „Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne“ (Art. 131 (2) BayVerf.). Intensives Nachdenken in offenen Gesprächen bis hin zu ersten philosophischen Diskursen über die verschiedenartigen Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten unterstützen die eigene Urteilsbildung.
Die Suche nach Selbstfindung und das Streben nach größerer Unabhängigkeit führen häufig zur Ablösung von bisher vertrauten und anerkannten Autoritäten. Im Ethikunterricht lernen die Schüler, ihre eigenen Wünsche nach individueller Entfaltung nicht isoliert zu sehen. Sie erkennen in der Auseinandersetzung mit eigenen Bedürfnissen und Haltungen die Bedeutung von Werten und Normen, die einem menschlichen und solidarischen Zusammenleben förderlich sind. Indem der Ethikunterricht die Schüler dazu anleitet, sich selbst und ihre Mitmenschen bewusst wahrzunehmen, fördert er nicht nur die Entwicklung des eigenen Selbstbewusstseins und Selbstwertgefühls, sondern ebenso das Bewusstsein für die Würde des anderen und die Achtung seiner Bedürfnisse und berechtigten Ansprüche. Mit Blick auf die Inklusion spielt dabei auch der respektvolle Umgang mit Menschen mit Behinderung eine wichtige Rolle.
Gemeinsames Lernen von Schülern, die aus verschiedenen Kulturkreisen stammen, soll dem Einzelnen die Chance eröffnen, seine eigenen kulturellen Wurzeln zu erkennen und unter Achtung anderer Überzeugungen Verantwortung für das Zusammenleben der Menschen zu übernehmen. Die Schüler erwerben deshalb auch Kenntnisse über wichtige Wertvorstellungen in verschiedenen Kulturen sowie der sie prägenden Religionen. Der Ethikunterricht legt damit eine wesentliche Grundlage für ein von Wertschätzung und Toleranz geprägtes Miteinander von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Glaubensvorstellungen. Er will den Schülern Gewaltlosigkeit als unverzichtbares Prinzip für die Bewältigung von Meinungsverschiedenheiten und von Konflikten vermitteln und sie befähigen, mit Herausforderungen, die sich ihnen in diesem Zusammenhang stellen, entsprechend umzugehen.
Ethische Fragestellungen im Kontext aktueller Entwicklungen, z. B. der Folgen der Globalisierung, der Anwendung medizinisch-technischer Entwicklungen oder des Verbrauchs natürlicher Ressourcen, erfordern reflektiertes und verantwortungsbewusstes Bewerten und Handeln. Zu dessen Anbahnung trägt der Ethikunterricht bei, indem er das eigene Handeln und Verhalten der Schüler mit diesen Fragestellungen in einen Zusammenhang stellt.