Ergänzende Informationen zum Lernbereich „Elektromagnetismus“
Das Induktionsgesetz
Das Induktionsgesetz als Grundgesetz der Natur
Die Behandlung des Induktionsgesetzes stellt eine gute Gelegenheit dar, exemplarisch die Natur physikalischer Gesetze zu thematisieren.
In der Physik gibt es grundlegende Gesetze (Axiome), die sich nicht begründen oder herleiten lassen. Sie sind die Grundregeln der Natur, die zu erkennen und zu formulieren zu den zentralen Zielen und Leistungen der Physik gehört. Beobachtungen bei in der Regel einer Vielzahl von Experimenten leiten Physiker beim Finden solcher Gesetze, auch wenn sich diese Grundgesetze nicht in strengem Sinne aus Beobachtungen ableiten lassen. Eine einzige widersprechende Beobachtung führt dazu, dass ein Gesetz erweitert oder aufgegeben werden muss.
Das Induktionsgesetz ist eines dieser Grundgesetze. Somit sollte der Eindruck vermieden werden, dass es aus experimentellen Beobachtungen wie etwa denen beim Schülerexperiment „Untersuchung der Abhängigkeit der Induktionsspannung von verschiedenen Größen“ deduziert werden könnte. Die Leistung der Experimente zum Induktionsgesetz im Unterricht ist es vielmehr, Beobachtungen zu liefern, die mit diesem allgemeinen Prinzip verträglich sind und damit das Vertrauen in dieses stärken:
„[…] Eng damit verbunden ist die zweite Fehleinschätzung, die in der Annahme liegt, das Experiment als wesentliche, vielleicht alleinige Quelle von Wissen über die Natur anzusehen. Dabei wird übersehen, dass Experimente stets nur kleine Deutungshinweise liefern, niemals jedoch eine Theorie „beweisen“ und damit Richtig von Falsch endgültig scheiden. Sicherheit über die Qualität unserer Erkenntnis gewinnen wir nur in dem Moment, in dem ein Hypothesen testendes Experiment erwartungswidrig ausgeht. Dann sind wir sicher, dass das, was wir uns dazudenken, mindestens einen Fehler enthält. Wir sind dann sicher, dass wir das, was wir in das Experiment hinein- und hinzudenken, überdenken müssen. Das Wissen über die Natur ist also ein brüchiges, das sich aus mindestens zwei Quellen speist: dem Experiment und unserer um das Experiment kreisenden Fantasie. […]Wenn Experimente sehr oft erwartungskonform ausgehen, dann steigt unser Vertrauen in die Theorie. Theorien, die über lange Zeiträume nicht widerlegt sind, gelten als bewährt, verlässlich. Sie sind jedoch nicht „bestätigt“ im Sinne einer Wahrheit, wie sie die Mathematik für sich beansprucht.“(Experimente in ihren Funktionen für das Lernen, K. Rincke, Universität Regensburg, S. 2f; www.physik.uni-regensburg.de/forschung/rincke/Materialien/grundlagentext3.pdf, abgerufen am 11.01.2021).Im Unterricht ist es sinnvoll, zunächst eine Vielzahl von Beobachtungen zu Induktionsphänomenen zusammenzustellen. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Schülerexperiment „Untersuchung der Abhängigkeit der Induktionsspannung von verschiedenen Größen“ oder entsprechende Demonstrationsexperimente. Auch zusätzliche Experimente, etwa unter Verwendung einer Spule, die als Elektromagnet das Magnetfeld erzeugt, welches bei seiner Veränderung in einer zweiten Spule eine Spannung induziert, bieten sich an.
Im Anschluss daran wird das Induktionsgesetz als grundlegendes Gesetz vorgestellt. Die Gegenüberstellung der Beobachtungen in den Experimenten und dem Induktionsgesetz zeigt, dass sich alle Beobachtungen mit dem Induktionsgesetz erklären lassen.
Das Beispiel der Induktion in einem quer zum Magnetfeld bewegten Leiterstück (dessen Verbindungen mit einem Spannungsmessgerät eine Leiterschleife bilden) kann als ein Beispiel besprochen werden, bei dem sich die Entstehung der Spannung alternativ zum Induktionsgesetz auch über die Lorentzkraft auf die mit dem Leiterstück mitbewegten Elektronen erklärt werden kann; ein Erklärungsansatz, der sich aber bei weitem nicht auf alle Phänomene, welche mit dem Induktionsgesetz verstanden werden können, verallgemeinern lässt.Die Formulierung des Induktionsgesetzes in Jgst. 10
Zur Formulierung des Induktionsgesetzes stehen in der Jahrgangsstufe 10 der Begriff des magnetischen Flusses und die Ableitung nach der Zeit noch nicht zur Verfügung und müssen in altersangemessener Weise verbal umschrieben werden. Folgende Möglichkeiten bieten sich an:
Ändert sich die Stärke des Magnetfelds, das die Querschnittsfläche einer Drahtwindung durchsetzt, dann wird zwischen den Drahtenden eine Spannung erzeugt („induziert“). Die induzierte Spannung ist umso größer, je schneller diese Änderung geschieht (z. B. bei der Bewegung eines Stabmagneten über eine Drahtwindung durch eine schnellere Bewegung oder durch die Verwendung eines stärkeren Magneten).Wird der gleiche Vorgang mit umgekehrter Bewegungsrichtung oder umgekehrter Magnetfeldrichtung durchgeführt, dann ändert sich die Polung der induzierten Spannung.
Während sich die Anzahl der Magnetfeldlinien ändert, die die Querschnittsfläche einer Drahtwindung durchsetzen, tritt zwischen den Drahtenden eine Induktionsspannung auf.Je schneller sich diese Anzahl verändert, desto größer ist die Induktionsspannung.
Während sich das von einer Spule umfasste Magnetfeld ändert, wird zwischen den Enden der Spule eine Spannung induziert. Sie hängt von der Schnelligkeit und Stärke dieser Änderung ab.
Während sich das Magnetfeld in einer Leiterschleife ändert, entsteht zwischen den Enden eine Induktionsspannung. Sie ist umso größer, je stärker die Änderung des Magnetfeldes ist, z. B. je größer die Relativgeschwindigkeit zwischen der Leiterschleife und einem Permanentmagnet ist.
Bei Verwendung einer Spule wirkt jede der Windungen als Spannungsquelle, die induzierten Spannungen addieren sich.Die Versprachlichung der mathematischen Formulierung und insbesondere die Umschreibung des magnetischen Flusses lassen sich nicht verlustfrei bewerkstelligen. So haben alle diese Formulierungen Stärken und Schwächen, sind aber für den Kompetenzaufbau in Jgst. 10 alle gut geeignet.
Halbquantitative Beschreibung von Zusammenhängen zwischen Größen
Eine halbquantitative Beschreibung eines Zusammenhangs zwischen zwei Größen beschreibt Trends der entsprechenden Zahlenwerte, ohne dabei eine Aussage über einen exakten mathematischen Zusammenhang zu treffen. Häufig werden hierzu Je-desto-Formulierungen verwendet, wie sie sich beispielsweise im Rahmen von erkundenden Experimenten ergeben.
Je-desto-Aussagen werden von Schülerinnen und Schülern bisweilen mit Proportionalitäten gleichgesetzt. Es ist wichtig, diese unterschiedlichen Beschreibungen von Zusammenhängen im Unterricht anhand geeigneter konkreter Beispiele betont voneinander abzugrenzen.
Energieerhaltung statt Lenz'sche Regel
Zur Erklärung von Induktionsphänomenen wird gerne die Lenz’sche Regel zur Richtung eines Induktionsstroms verwendet: „Der Induktionsstrom ist stets so gerichtet, dass seine Wirkung der Ursache seines Entstehens entgegenwirkt“ – oder in ähnlicher Formulierung. Ihre Anwendung mag in manchen Fällen durchaus sinnvoll und praktikabel sein, da sie im Sinne einer Faustregel schnell anwendbar ist. Durch die Formulierung als Regel – oder gar als Lenz´sches Gesetz – wird ihre Aussage aber in besonderer Weise hervorgehoben und suggeriert, dass die Existenz eines Induktionsstromes bzw. seiner Richtung nur mit Hilfe der Lenz´schen Regel erklärt werden kann. Das umfassendere Induktionsgesetz und der Energieerhaltungssatz, in denen die Lenz´sche Regel aufgeht, treten dabei in den Hintergrund.
Um Induktionsphänomene zu erklären, ist eine eigene Regel nicht notwendig. Mit dem Energieerhaltungssatz (Jgst. 9) können die Schülerinnen und Schüler die hemmende Wirkung von Induktionsströmen erklären. So wird z. B. beim Fall eines Dauermagneten durch ein Aluminiumrohr ein Teil der Höhenenergie des Dauermagneten in elektrische Energie des Wirbelstroms im Rohr umgewandelt. Dieser Teil wird demnach nicht in kinetische Energie des Dauermagneten umgewandelt und er muss langsamer fallen als außerhalb des Rohres. Aus dieser hemmenden Wirkung, die über ein Magnetfeld vermittelt wird, lässt sich dann auf die Stromrichtung des Induktionsstroms schließen. Hätte der Induktionsstrom keine hemmende Wirkung, dann wäre der Energieerhaltungssatz verletzt und ein perpetuum mobile möglich.
Aus didaktischer Sicht spricht noch ein weiteres Argument dafür, die Lenz´sche Regel zu vermeiden. Die Lenz´sche Regel wird meist nur in Zusammenhang mit Induktionsströmen betrachtet. Dadurch festigt sich bei Schülerinnen und Schülern die Fehlvorstellung, dass Induktion stets einen Stromfluss bewirkt, entgegen der Aussage des Induktionsgesetzes, dass eine Flussänderung eine Induktionsspannung hervorruft, die einen Stromfluss bewirken kann. Auf eine scharfe Trennung der Begrifflichkeiten von Spannung und Strom und ihren kausalen Zusammenhang als Ursache und Wirkung zu setzen, kann helfen, keine zusätzlichen Erschwernisse aufzubauen und einen übermächtigen Strombegriff zu vermeiden.
Historisch gesehen ist die Lenz´sche Regel in die Sammlung und Erklärung von Phänomenen des elektrischen Stroms mit seiner magnetischen Wirkung einerseits und seiner Erzeugung durch Induktion andererseits einzuordnen. Emil Lenz (1804 – 1865, Physiklehrer in St. Petersburg) schaffte hier durch seine Veröffentlichung 1834 in den Annalen der Physik eine erste Klarheit auf der Grundlage der Arbeiten von A. Ampère und M. Faraday und vermochte regelhaft, die Stromrichtung eines durch Induktion erzeugten Stroms korrekt anzugeben. Dies wurde seinerzeit als Lösung einer nicht trivialen Frage angesehen, dachte man doch, dass sich bei der Induktion eine Stromrichtung mehr oder weniger willkürlich einstellt. Da der Energieerhaltungssatz erst 20 Jahre später, die Maxwell‘schen Gleichungen gar erst 30 Jahre später formuliert wurden, ist die Lenz´sche Regel eine wichtige und verdienstvolle Wegmarke auf dem Pfad des Aufbaus einer umfassenden Theorie des Elektromagnetismus. Sie beschreibt allerdings nur einen Teilaspekt, der vom Energiekonzept und vom Induktionsgesetz vollauf berücksichtigt wird. Damit ist die Frage berechtigt, warum gerade an dieser Stelle im Lehrplan auf einen Zwischenschritt in der Entwicklung einer Theorie eingegangen werden sollte, in anderen Themenbereichen aber nicht. Da ein über die allgemeineren Gesetzmäßigkeiten (Energieerhaltungssatz und Induktionsgesetz) hinausgehender Bildungswert der Lenz’sche Regel im fachlichen Kontext von Induktionsphänomenen nicht ersichtlich ist, wird die Lenz‘sche Regel in der Inhaltsliste nicht genannt.